Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
ebenso illegale Taten seiner Freunde
aus der Schulzeit. Er hatte sie stets abgemahnt, nie verpfiffen. Meistens waren
sie mit einem blauen Auge davongekommen. Leopold wollte auch Toni mit einem blauen
Auge davonkommen lassen. »Hast du eigentlich jemals der Anette etwas gestohlen?«,
fragte er noch.
Toni schüttelte
den Kopf.
»Bist du
ihr einmal aufgelauert? Hast versucht, sie zu erschrecken?«
Wieder verneinte
Toni, ohne etwas zu sagen. Dann drehte er sich um und ging mit schleppenden Schritten
ins Haus der Begegnung.
17
»So gibt’s viel gute Mensch’n,
aber grundschlechte Leut’.« (Nestroy: Frühere Verhältnisse)
Leopold betrat das Halbdunkel des
Veranstaltungssaales. Die Probe hatte bereits begonnen. Er nahm rasch auf einem
der Sessel Platz, um nicht zu stören. Vor sich konnte er eine kleine Ansammlung
von Schauspielern erkennen, die offenbar zwischen ihren Auftritten den Fortgang
des Stückes verfolgten. Auch hinter ihm saß jemand. Er nahm die markanten Umrisse
von Oberinspektor Juricek wahr, daneben in etwas verkrampfter Haltung in sichtlich
ungewohnter Umgebung Inspektor Bollek. Juricek winkte Leopold kurz zu, der winkte
gedankenverloren zurück. Die beiden erhofften sich wohl auch irgendwelche Aufschlüsse
aus dem Ablauf der Probe.
Auf der
Bühne ging es bereits flott zu. Leopold fand es interessant, dass mit nur wenigen
Möbelstücken und kleinen Andeutungen einer Kulisse der gewünschte Effekt erzielt
wurde. Der Mensch lässt sich eben gerne etwas vorgaukeln, dachte er. Man sagt ihm,
das sei jetzt die Wohnung eines Gewürzkramers aus der Biedermeierzeit, und schon
ist er bereit, es zu glauben. Schwupp, wird daraus mit ein paar Handgriffen der
Gartensalon eines Gasthauses oder das Zimmer der Madame Knorr. So einfach geht das.
Es muss nur etwas die Fantasie beflügeln, der Rest ist schnell geschehen.
Leopold
nahm sich vor, die einzelnen Schauspieler in ihren Rollen zu studieren und zu sehen,
ob er daraus irgendwelche Rückschlüsse ziehen konnte. Da war sein Freund Korber,
der sich in der Rolle des beharrlich, aber nicht immer mit den geeigneten Mitteln
um das Mündel Marie kämpfenden August Sonders sichtlich wohl fühlte. Anette Riedl,
deren gekonntes Lispeln noch am ehesten hervorzuheben war, gab hingegen eine etwas
farb- und temperamentlose Marie. Stössl improvisierte großteils, weil er seine Sätze
noch immer nicht 100%ig unter Kontrolle hatte, erreichte aber gerade dadurch gute
Teilerfolge. Pribil wiederum, obwohl nicht mehr der Jüngste und auch nicht gerade
sportlich aussehend, wirkte als Zangler erstaunlich fit und agil. Ein Mann, der
eine gewisse Strecke schwimmen und seinen Gegner dann ertränken konnte? Durchaus.
Freddie
Glomser war ein Mann des Theaters mit Leib und Seele, das merkte man sofort. Er
zog von Anfang an alle Aufmerksamkeit auf sich, riss die anderen mit. Wie er schalkhaft
lächelte, wie er dreinschauen konnte, sodass man nie wissen konnte, ob sein Melchior
tatsächlich so stupide war oder es nicht doch faustdick hinter den Ohren hatte.
Einer, den Nestroy gemeint haben konnte, als er von Schauspielern gesprochen hatte,
denen man nicht trauen konnte. Und einer, dem wohl, da konnte er behaupten, was
er wollte, das Herz geblutet haben musste, als man Walters mit der Regie betraut
hatte. Grund genug für einen Mord? Warum nicht?
Sonja Friedl
zeigte so gar kein Talent für die Bühne. Ihr Glück war, dass das weder in ihrem
Part als Gertrud noch als Lisette eine erhebliche Rolle spielte. War es möglich,
dass sie im wirklichen Leben eine bessere schauspielerische Leistung erbrachte?
Man musste sehen. Richtig neugierig war Leopold auf Sven Biedermann als Weinberl.
Wie würde dieser Mensch, der ihm seit dem gestrigen Abend so richtig unsympathisch
war, als Sympathieträger auf das Publikum wirken? Nun, er ging gar nicht so schlecht
an die Sache heran. Ihm fehlte zwar das Volkstümliche eines Glomser oder Pribil,
aber er zeigte durchaus Witz. Auch einer, der auf der Bühne einen ganz anderen Part
als im Leben spielte. Und erst recht Toni Haslinger als Christopherl: pfiffig, aufgeweckt
und umtriebig, ganz gegen seine sonstige eigenbrötlerische Zurückgezogenheit. Um
den wär’s schade, wenn er auf die schiefe Bahn geraten würde, dachte Leopold und
fand sich wiederum in seiner Theorie bestätigt, dass sie einem alle etwas vorspielen
konnten, wenn sie nur wollten.
Gut, beinahe
professionell, schließlich Elfriede und Simone Bachmann als Frau von Fischer und
Madame
Weitere Kostenlose Bücher