Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
muss die Feuerwehr verständigen!«
– »Warum tut jemand so etwas bloß?« – »Ich hab g’hört, er springt aus Verzweiflung,
weil das Kaffeehaus, in dem er arbeitet, für einen ganzen Monat zusperrt.« Leopold
begann zu rutschen, versuchte verzweifelt, einen Absturz zu verhindern, aber es
gelang nicht. Er taumelte, fiel und – wachte auf.
Jetzt war
es endgültig aus mit dem Schlafen. Leopold setzte sich kerzengerade in seinem Bett
auf und schüttelte den Kopf, um sämtliche bösen Traumgeister zu verscheuchen. Der
Pyjama klebte an seinem Körper wie ein nasser Vollkörperbadeanzug. Draußen lachte
die Sonne und versprach einen heißen Sommertag.
Nestroy
ist tot, dachte er. Den kann man nicht einfach so herzaubern, wann man es gerade
möchte. Schön, dass er dieses eine Mal für mich Zeit gehabt hat, als es wichtig
war. Jetzt muss ich mich eben wieder von ihm verabschieden, so schwer es auch fällt.
19
»Jenseits is ja eine bessere
Welt; man blamiert entweder jene bessere Welt oder seinen Glauben dran, wenn man
um Verstorbene lamentiert.« (Nestroy: ›Nur keck!‹)
Frau Pohanka sah aus, als habe man
ihre Mundwinkel mit einem Faden in die Höhe gezogen und dann fixiert. Ihr Lächeln
hatte sich dermaßen von jeglicher Natürlichkeit entfernt, dass das Allerschlimmste
zu befürchten stand. »Frau Professor Patzak und Herr Professor Korber, bitte dringend
zum Direktor«, verkündete sie in die Geschäftigkeit des Lehrerzimmers hinein und
wirkte dabei so diskret wie der Mitarbeiter eines Begräbnisinstitutes.
In der Direktionskanzlei
sahen Korber und seine Kollegin dann auch sofort, was los war. Direktor Marksteiner
ging unruhig auf und ab, Freddie Glomser saß mit hochrotem Gesicht vor dem dadurch
verlassenen Schreibtisch, und Fritz Stössl stand wie ein ungezogener Schulbub in
der Ecke und sinnierte: »Ist das Spiel wirklich aus? Sind Träume nur Schäume?«
»Da sind
Sie ja endlich, liebe Kollegin Patzak, lieber Kollege Korber«, grüßte Marksteiner
nervös die Eintretenden. »Ich habe eine Art Krisensitzung einberufen. Sie können
sich ja denken, worum es geht. Unser schönes Theaterstück, für das wir als Schule
die finanzielle Betreuung und die künstlerische Verantwortung übernommen haben,
steht, noch dazu zum Jubiläum des Todesjahres Nestroys, kurz vor dem Aus. Herr Glomser,
bitte erläutern Sie uns noch einmal die Situation.«
»So etwas
habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht mitgemacht«, begann Glomser ohne Umschweife.
»Ich soll in einer Woche eine Aufführung auf die Bühne zaubern und weiß noch nicht
einmal, wer heute alles zur Probe kommt! Anette Riedl ist erst heute früh aus dem
Spital entlassen worden. Von ihr habe ich eine Absage bekommen, von Simone Bachmann
ebenfalls. Über Elfriede Bachmann brauchen wir gar nicht mehr zu reden, die ist
ja … nun, Sie wissen alle, was ich meine. Bei Toni Haslinger kann man nie sagen,
was ihm gerade einfällt, und Sonja Friedl hat mit dem Aufhören gedroht, weil ihre
Ohrringe verschwunden sind. Selbst als Kunstverehrer und Idealist kann ich nur eines
sagen: Ich kapituliere.«
»Eine Blamage!
Eine einzige, große Blamage!«, machte Marksteiner seinem Ärger Luft.
»Ich sehe
die Sache nicht so schlimm«, warf Korber ein. »Wenn sich Anette erholt hat, macht
sie sicher wieder mit, sie spielt die Marie sehr gerne. Ich glaube, auch Simone
Bachmann wird wieder dabei sein, wenn sie den Schock, dass ihre Schwester eine Mörderin
ist, verkraftet hat. Das Theaterspielen ist da eine gute Therapie. Toni Haslinger
ist ein bisschen schwierig und unzuverlässig, du hast ihn aber gut im Griff, Freddie.
Und bei Sonja habe ich das Gefühl, als könnten ihre Ohrringe schon bald wieder auftauchen.
Bleibt Elfriede, auf die wir leider wirklich verzichten werden müssen. Ersatz ist,
soweit ich mich erinnern kann, Gerda Geißler.«
»Die Nämliche
fehlt heute vorsichtshalber auch«, zeterte Marksteiner, der sein sonst ruhiges Wesen
ganz und gar verloren hatte. »Das mit Elfriede Bachmann hat sich wohl schnell bis
zu ihr herumgesprochen, und es schaut nicht so aus, als habe sie vor, jetzt noch
einzuspringen. Die bleibt so lange zu Hause, bis die Sache endgültig gelaufen ist.
Das heißt, wir sind wieder die Dummen. Es ist doch Ihre Schülerin aus der 6B, Korber.
Was hat sie in Deutsch?«
»Ein Genügend«,
gab Korber wahrheitsgetreu Auskunft.
»Ein Genügend«,
lachte Marksteiner sarkastisch. »Da scheinen Sie ja wieder einmal recht großzügig
gewesen zu
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