Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
hoffte er, Nestroy
auf dieselbe Art wie schon einmal im Traum zu begegnen. Im Kaffeehaus sollte es
wieder sein, in dieser Grauzone zwischen Nacht und Tag, bei einem Kaffee und einem
Buttersemmerl. Obwohl er wusste, dass sich solche Dinge nicht einfach herbeiwünschen
ließen, dachte er immer wieder daran, versuchte, sich zu konzentrieren und wälzte
sich im Bett herum.
Er träumte
vorerst von ganz anderen Dingen: Er saß in einem Flugzeug, wusste nicht, wohin er
flog, und ihm war übel. In Panik rief er die Stewardess zu sich. »Wohin fliegen
wir? Wann landen wir?«, fragte er. Die Stewardess lächelte ihn auf die charmanteste
Art und Weise an und antwortete: »Wohin wir fliegen, wissen wir nicht. Und wann
wir landen auch nicht. Aber das kann Ihnen doch egal sein. Sie haben ja jetzt so
viel Zeit, bis das Kaffeehaus wieder aufsperrt.« Er spürte ein Würgen im Hals als
müsse er sich jeden Moment übergeben und – wachte auf.
Er ging
ins Bad, trank ein Glas Wasser und legte sich erneut nieder. Einige Minuten später
fand er sich neben Herrn Otto wieder. Sie stießen beide mit einem Glas Sekt auf
den Weltuntergang an. Es war wie zu Silvester. »Prost«, sagte Herr Otto. »Nur noch
wenige Sekunden. Als Beamter darf ich Ihnen versichern, dass der Komet mit äußerster
Pünktlichkeit einschlagen wird.« – »Das freut mich«, erwiderte Leopold. »Ich hab
schon immer gewusst, dass Sie recht haben. Prost!« – »Soso, aha, naja! Uijegerl,
uijegerl«, brummte Herr Roland dazu im Hintergrund. Dann machte es ›Bumm‹, Leopold
glaubte, sein Kopf würde zerplatzen und – wachte auf.
Er lag ein
paar Minuten wach, dann fielen ihm erneut die Augen zu und er landete im neu gestalteten
Kulturcafé Heller, wo er missmutig seinen Dienst versah. Auf der Bühne stand eine
schwergewichtige Operettendiva und sang lauthals, sodass das gesamte Kaffeehaus
erbebte. Ihr gewaltiger Busen wogte dabei hin und her. Zwischen ihr und der ersten
Reihe war so wenig Platz, dass Leopold mit seinem kleinen Braunen nicht durchkam
und bei dem Versuch, es dennoch zu wagen, mit dem Kopf zwischen ihrem Bauch und
ihren zwei Brüsten stecken blieb. Es würgte ihn so gewaltig, dass sein Kopf erst
rot, dann blau wurde. Er bekam keine Luft mehr und – wachte auf.
Mein Gott,
warum konnte man nicht das Einfachste auf der Welt tun, nämlich in Ruhe schlafen?
Leopold lag jetzt lange da, sehr lange. Dann schien plötzlich die Sonne, es war
angenehm warm und er flanierte in einem altmodischen Anzug, mit Spazierstock und
Zylinder eine Straße entlang, von der er überzeugt war, dass es sich um die Jägerzeile [4] handelte.
Er schaute sich ein wenig unter den zahlreichen lustwandelnden Menschen um, da bemerkte
er auch schon die große, hagere Gestalt, die er suchte. Er fuchtelte wie wild mit
seiner linken Hand und rief: »Hallo, Nestroy!« – »Ah, Leopold«, rief Nestroy zurück.
»Wie geht’s? Hat Er schon seinen Mörder?« – »Natürlich, dank Ihrer großartigen Hilfe.
Darum würd’ ich gern einen Kaffee mit Ihnen trinken geh’n.« – »Ausgeschlossen, ich
muss leider g’rad zur Prob’ ins Leopoldstädter Theater und hab’s schon ziemlich
eilig. Lumpazivagabundus! Aber spazier’ Er zur Erbauung doch ein wenig in den Prater,
es ist so ein schöner Tag heut’.« Damit zog Nestroy zum Abschied seinen Hut, wandte
sich wieder um und entfernte sich zügigen Schrittes.
Doch Leopold
wollte sich nicht geschlagen geben. Er verfolgte Nestroy, lief ihm nach, suchte,
ihn zu erhaschen. Schon war er dicht hinter ihm, meinte, ihn an der Schulter fassen
zu können. Aber im nächsten Moment befand sich Nestroy mit seinen langen Beinen
schon wieder 100 Meter vor ihm. Es entwickelte sich eine richtige kleine Verfolgungsjagd,
bei der Nestroy ständig die Oberhand behielt. Er änderte plötzlich die Richtung,
und auf einmal befanden sich beide im Prater. Leopold verlor Nestroy aus den Augen,
suchte ihn zwischen den Bäumen, lief weiter und weiter und weiter …
Im nächsten
Augenblick fand er sich auf dem Dach einer der Kabinen des Riesenrades wieder, ohne
zu wissen, wie er dorthin geraten war. Die Kabine bewegte sich auf den Scheitelpunkt
des Riesenrades zu. Während Leopold sich in seiner Verzweiflung bemühte, das Gleichgewicht
zu halten, hörte er deutlich die Stimmen von unten: »Da oben springt einer!« – »Na
so was! Ist ja furchtbar!« – »Kann man denn gar nichts machen?« – »Man muss das
Ding anhalten!« – »Das nützt jetzt auch nichts mehr. Man
Weitere Kostenlose Bücher