Netha-Chrome
zurück?“ Sie schüttelte den Kopf.
„Die Reorganisation läuft noch. In meinem Speicher befinden sich über achthundert Petabyte an Datensätzen, die vollkommen durcheinandergeraten sind. Sie zu reorganisieren ist selbst für mich eine langwierige Aufgabe.“
Ob ich gespannt darauf sein sollte, was sie mir alles zu berichten hatte, wenn sie sich erst wieder an alles erinnern konnte? Was würde sie mir erzählen können? Über die letzten Wochen und über das, was zwischen uns beiden zu sein schien? Ich spürte, dass da etwas sein musste. Irgendetwas knisterte zwischen uns wie eine Plasmaleitung. Aber auch wenn da etwas war, die Möglichkeit, dass wir uns niemals wieder daran erinnern könnten, war natürlich allgegenwärtig. Egal, wir zwischen uns aufgebaut hatten, alles begänne dann von vorne. Ich wusste natürlich, dass diese KI und ich seit einiger Zeit eine Freundschaft pflegten. Aber da gab es etwas, das weit über diese Freundschaft hinausging. Vielleicht hatten wir miteinander geschlafen und wussten es nicht mehr. Aber bei dem ganzen Chaos in unseren Köpfen, hätten wir sogar verbotenerweise verheiratet sein können, ohne davon zu wissen. Es war verrückt.
Als das Einsatzfahrzeug vor dem Office hielt, stiegen wir aus und die beiden Agenten setzten ihre Fahrt fort. Als ich einen Blick auf die Menschentraube warf, die sich auf dem Platz vor dem Office gebildet hatte, wusste ich auch, wieso die Beiden so schnell wieder abgehauen waren. Das Gebäude wurde von tausenden verängstigter Bürger bedrängt. Sofern ich deren Rufe verstand, forderten sie den MSS auf, endlich für Ordnung zu sorgen und sich auf den Straßen blicken zu lassen. Mehrere Einsatzagenten hatten eine Kette gebildet, um den Eingang zu sichern und niemanden ins Gebäude zu lassen.
Sydney und ich sondierten schnell die Lage, bevor wir uns einen Weg durch die Menschenmenge bahnten. Einige beschimpften uns, beziehungsweise beschimpften eher Sydney, die in ihrem schwarzen Salina-Mantel unschwer als MSS-Agentin zu erkennen war.
Ein aufgebrachter Passant, ein Mann in meinem Alter, ergriff Sydney von hinten am Arm. Gerade noch rechtzeitig erkannte ich ein Messer in seiner linken Hand, denn bevor Sydney sich herumgedreht hatte, hatte der Mann die Waffe bereits erhoben. Mit einem gezielten Schlag auf die Nase schickte ich den Kerl zu Boden. Blut spritzte durch die Gegend, und trotz der enormen Lautstärke der aufgebrachten Menge hörte ich sein Nasenbein brechen.
Jetzt erst konnte Sydney reagieren und zog ihre Waffe unter dem Mantel hervor. Ich klaubte derweil das Messer auf und hielt den Kerl gleichzeitig, mit einem Fuß auf dem Brustkorb, am Boden fest.
„Was zum Teufel…?“, knurrte Sydney, als sie den blutenden Mann am Boden liegen sah. Ich hob das circa zwanzig Zentimeter lange Armeemesser des Angreifers in die Luft.
„Ich glaube, Sie schulden mir was, Sydney“, lächelte ich.
Um uns herum begann die Menge zu toben. Sie wüteten und schimpften, und langsam gelangte ich zu der Erkenntnis, dass wir uns schleunigst ins Office retten sollten. Ein kurzer Blick zu Sydney deutete mir, dass die KI-Agentin der gleichen Meinung war.
Wir ließen den Angreifer also einfach dort, wo er war und sahen zu, dass wir schnellstens durch die Meute kamen. Nach ein paar Metern, und nachdem wir etliche Hasstiraden über uns ergehen lassen mussten, erreichten wir die Kette der Einsatzbeamten. Sydney zeigte ihren Holo-Ausweis vor und die Kette riss hastig auseinander, um sich umso zügiger wieder zu schließen, als wir passiert hatten.
„Die sind ja irre!“, keuchte ich, als wir durch den Eingang des Office traten. Sydney, die erst jetzt ihre Waffe wieder zurück in den Holster steckte, nickte mir zu.
„Danke für die Rückendeckung“, sagte sie knapp. Ich verzog meine Mundwinkel.
„Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie mir auch schon mal den Arsch gerettet. Ich denke, wir sind quitt.“ Die Agentin schaute mich mit einem seltsamen Blick an.
„Haben Sie das nur getan, um eine Rechnung zu begleichen?“ Ich schluckte, und warmes Blut stieg mir ins Gesicht.
„Sollte ich zusehen, wie irgend so ein Arschloch meine Partnerin absticht? Außerdem trage ich ungern Schulden mit mir herum. Wieso zum Henker fragen Sie so was?“ Die KI zuckte mit den Schultern.
„Nur so…“ Ich hob meine Augenbrauen an.
„Nur so? Sie fragen nie einfach nur so, Sydney.“
„Diesmal schon.“ Ich schüttelte etwas verwirrt den Kopf.
„Ich verstehe Sie nicht
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