Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
durchzusetzen – notfalls gegen den Willen der anderen. Die Frage, die wir uns alle stellen müssen, ist, wie wir an das Bild über dem Sofa kommen, möglichst ohne es heimlich abnehmen zu müssen. Und dafür brauchen wir das schlechte Benehmen. Denn nicht immer erlauben es die äußeren Bedingungen, seine Interessen offen durchzusetzen. Sobald wir nicht sicher sind, mit konventionellen und anerkannten Methoden zum Ziel zu kommen, sollten wir über Alternativen nachdenken. Mein Onkel ist leider kein Freund von Verhältnismäßigkeit, er ist lieber gleich kriminell. Wie aber erreichen wir unsere Ziele, ohne everybody’s Depp zu sein, oder ständig mit einem Bein im Gefängnis zu stehen?
Freundschaften festigt man,
indem man gegen Normen verstößt.
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Ansprüche und Wünsche treiben uns an, sie stets zu verleugnen, bringt uns in Konflikt mit unserer Seele, sie immer gewaltsam durchzusetzen, in Konflikt mit dem Rest der Welt. In diesen Konflikten aber liegt das Potenzial zur persönlichen Weiterentwicklung verborgen.
Gerade in Freundschaften und Beziehungen lohnt es sich, Bedürfnisse zu äußern, denn sie gewinnen dadurch an Tiefe, gemeinsam überstandene Konflikte festigen die Freundschaft. Allerdings: Mit Vorsicht und Freundlichkeit sprengt man keine Grenzen, da braucht es oft rabiatere Mittel.
Es wohnen also zwei Herzen in unserer Brust. Einerseits wollen wir zu unserem Recht kommen, andererseits wollen wir aber Konflikte vermeiden. Manche betonen in ihrem Leben die Konfliktvermeidung und machen ihre Freundschaften und Beziehungen zur gefahrenfreien Zone. Sie räumen noch im größten Stress Terminslots frei, für eine Stunde Kaffee trinken mit einer flüchtigen Bekannten, plaudern über Belangloses – aber riskiert wird in dieser einen Stunde nichts, die gemeinsame Zeit bleibt ungenutzt: man hat ja schon genug um die Ohren. Einmal die Woche trifft man sich mit einem guten Kumpel zum Badmintonspielen, denn bekanntermaßen macht sportliche Ertüchtigung zu zweit mehr Spaß als allein. Mehr Ansprüche würde man an diesen Kumpel nicht stellen, denn er hat schließlich auch ohne uns genügend Verpflichtungen. Das alles kann niemals genug für einen Menschen sein. Auf diese Weise werden unsere Bedürfnisse nicht erfüllt.
Nur wenn man sich und dem anderen die leeren Höflichkeitsphrasen verbietet, kann man das von Freunden bekommen, was man braucht: echte Zuneigung. Daher gilt für jede Beziehung: Sie müssen zuerst Ihre eigenen Bedürfnisse kennen und entscheiden, wie weit Sie dafür gehen wollen, bevor Freundschaften möglich sind.
Testen Sie, ob man Sie wirklich mag.
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Die Wahl der Mittel hängt selbstverständlich von Ihrem Temperament und von der Situation ab. Auf etwas zu verzichten, was Sie gerne haben möchten oder tun wollen, ist auf jeden Fall die schlechtere Alternative und eine eklatante Pflichtverletzung gegenüber sich selbst.
Anja und Mark, ein befreundetes Ehepaar, fuhren seit fast acht Jahren jedes Jahr nach Südfrankreich zum Paddeln. Vor Kurzem stellte sich während eines heftigen Streits heraus: seit fast acht Jahren hassen sie es und haben es jeweils nur dem anderen zuliebe getan.
Alle beide haben sich acht Urlaube zur Hölle gemacht, weil sie es nicht gewagt haben, ihre Interessen zu äußern.
Mit schlechtem Benehmen setzte ich mich
besser durch als durch stundenlange
Diskussionen.
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Meine drei Jahre jüngere Schwester war in diesem Punkt schon viel früher viel weiter als ich. Ich war siebzehn Jahre alt, als sie mir vor Augen führte, wie unfähig ich war, für mein Vergnügen selbst Verantwortung zu übernehmen.
Bei uns zu Hause herrschten strenge Regeln. Ich durfte zwar alle zwei Wochen mit meiner Freundin Ute ausgehen, aber nur bis 22 Uhr. Ute war schon 18 Jahre alt und konnte tun und lassen, was sie wollte, und es nervte sie, wenn ich Partys und Abendessen immer dann wieder verlassen musste, wo sie doch gerade begonnen hatten. Auch wenn ich bei ihr übernachtete, drängte ich darauf, pünktlich zu Hause zu sein, denn ich fürchtete die Kontrollanrufe meiner Mutter am nächsten Morgen – und ich konnte einfach nicht lügen. Kam ich nur eine halbe Stunde zu spät, quälte mich das schlechte Gewissen.
Eines Freitagabends war ich wieder mit Ute verabredet; meine Schwester übernachtete bei einer Freundin um die Ecke und war kurz vor mir aus dem Haus gegangen. Ich nahm den Bus Richtung Innenstadt, drei Stationen später sah ich zwei junge Mädchen einsteigen.
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