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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Beschützend legte er seine Arme um den Körper der Frau. Fritz sah, dass sie weinte. Beide wirkten wie gehetzte Tiere, und doch griffen Freude, Jubel und Fassungslosigkeit mit Fangarmen nach Fritz. Er wollte schreien, lachen, weinen, wollte rufen und in den Himmel springen, aber er war auf dem Boden festgewachsen. Die Haustür sprengte ihren Rahmen, die Wände stürzten ein, denn sämtliche Himmelsboten spielten gemeinsam Harfe. Gott persönlich füllte den Becher der Freude ab. Fritz breitete seine Arme aus, doch er war nicht schnell genug.
    Erwin Sternberg, Betsys Sohn aus dem fernem Land, Vickys Bruder, Fritzens Schwager und der Freund der Jugend, war schneller. Der blasse, erschöpfte Mann im schäbigen Mantel hatte ellenlange Arme und Hände wie ein Holzfäller, er konnte fliegen, und er schnaufte Feuer. Noch konnten die beiden Männer nur ahnen, was ihnen geschah; noch hörten sie Trommeln, die keiner schlug, noch sahen sie die Sterne, die sich den Menschen nur im Glück zeigen, noch waren sie beide zwergenklein und fürchteten sich vor den ballongroßen Seifenblasen, die um sie herumwirbelten und ihre Sinne neckten. Sie hatten Angst zu atmen, Angst zu schlucken und Angst, ihre Augen zu öffnen, denn sie hatten beide zu oft erfahren, welche unberechenbare, neidische Person die Schicksalsgöttin ist. Immer wieder hatten sie erlebt, dass Menschen ihr vermeintliches Glück am Ziel zerrinnen sahen. Sie murmelten vor sich hin wie Greise, die das Wort nicht mehr formen können. Ein jeder hielt die eigenen Tränen für die des anderen, ihre Seligkeit für einen Irrtum der Sinne. Und doch wurden sie wieder zu Kindern, sie glaubten an Märchen und glaubten an Wunder, sie glaubten an die Gerechtigkeit und an Gott.
    »Fritz, Fritz, dass ich das noch erlebe! Ich habe noch nicht mal zu hoffen gewagt, dass es je geschehen könnte. Ich hätte alle Eide dieser Welt geschworen, dass es sich nicht lohnt, um das zu beten, was nun geschieht. Soweit ich weiß, hat Gott noch nie unsere Leute aus dem Gelobten Land herausgeführt. Warum sollte er ausgerechnet mit uns dreien anfangen? Pardon, mit uns vieren.«
    »Mir ging es genauso, ich habe nicht an ein Wiedersehen glauben können.«
    »Sag mir, dass ich nicht träume. Schwör mir, dass du Fritz bist. Nein, du musst es beweisen. Du musst Fragen beantworten, die nur du beantworten kannst. Ich glaube, bei Spionen wird’s so gemacht. Wo hast du deine Anwaltspraxis gehabt?«
    »In der Biebergasse. Wie kommst du drauf? Glaubst du, ein Mann vergisst, wo man ihm die Schilder beschmiert und seinen Lebenstraum zerstört hat? Mein erster Weg, als ich zurück nach Frankfurt kam, war in die Biebergasse beziehungsweise das, was von ihr übrig geblieben ist.«
    »Und wie hieß die Köchin im Hause Sternberg? Sie hatte einen Busen wie ein Federbett, und den missratenen Erwin hat sie bis zum Gehtnichtmehr verzogen.«
    »Josepha. Josepha Krause. Die Frage war gar nichts, mein Lieber. Wir reden fast täglich von ihr. Jetzt fordere ich die Beweise. Du kannst doch nicht einfach herkommen und behaupten, dass du mein Schwager Erwin Sternberg bist.«
    »Glaubst du, es gibt noch irgendwo sonst einen so meschuggenen alten Esel, der seinen letzten Groschen hergibt, damit drei heimwehkranke Leute und Miss Lolita von Haifa nach Genua reisen können?«
    »Wieso Genua?«
    »Weil Israels Schiffe aus begreiflichen Gründen nicht in Hamburg anlegen. Ab Genua haben wir vier Tage auf der Bahn gelegen, und nur der Gedanke, dass Mutter seit Jahren darauf wartet, uns wiederzusehen, hat uns aufrechtgehalten. Aber wir sind gar nicht wir. Wir sind Gespenster, die an das glauben, was wir uns vormachen, und gleich kommt ein böser Mann mit Schnurrbart und steckt uns in den Sack.«
    »Du hast dich kein bisschen verändert, Erwin, kein bisschen. Ich hätte dich auf der ganzen Welt erkannt.«
    »Siehst du, und daran erkenne ich dich. Du hast immer wunderbar schwindeln können, wenn du einen Menschen nicht kränken wolltest. Das war das Erste, was mir an dir auffiel.«
    »Und die junge Schönheit hier, ist sie deine Frau? Alles hätte ich mir vorstellen können. Nur nicht das.«
    »Die Schönheit«, erklärte die grauhaarige Frau im Regenmantel, »ist Claudette. Deine angeheiratete Nichte Claudette. Sag nur, du weißt nicht mehr, wer sie ist. Du hast ihr mit Lakritze den Magen verkorkst und den Kopf mit der Behauptung, dass alle Menschen Brüder sind. Komm, Claudette, hör endlich auf zu schniefen. Deine Großmutter wird sich

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