Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
so ein Siegergesicht gezeigt, als du die Schiffskarten von Haifa nach Genua auf den Tisch gelegt hast. Ist es am Ende das Städel, dem wir deine Verwandlung zu danken haben?«
    »Nein. Fortuna mag keine Wiederholungen. Schon gar nicht bei einem Mann, der nächstes Jahr fünfzig wird. Wieder Fuß im eigenen Beruf zu fassen und so zu tun, als wäre nichts gewesen außer einem Weltuntergang, ist ja nur den Ärzten und Juristen gelungen.«
    »Wahrhaftig nicht allen«, widersprach Fritz. »Gerade bei den Juristen gab es viele Selbstmorde in der Emigration. Pardon, das gehört nicht hierher. Und schon gar nicht jetzt. Nimm keine Notiz von einem tumben Graukopf, der seine Gedanken nicht bei sich behalten kann. Mach weiter, Erwin. Was war mit dem Städel? Das war ja das Nächstliegende. Du warst doch vor Hitler an der Städelschule.«
    »Ich habe mich nicht reingetraut, habe immer nur vor dem Tor gestanden, die Mauern angeglotzt und auf ein Wunder gewartet. Am laufenden Band habe ich Bewerbungen geschrieben und keine einzige abgeschickt. Mein letztes Hemd hätte ich hergegeben, um in Kontakt mit dem Städel zu kommen, wo ich die glücklichsten Jahre meines missratenen Daseins erlebte, aber ich war wie gelähmt. Ich habe Gott angefleht, mich in den Hintern zu treten, damit ich wenigstens versuche, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, die heute dort das Sagen haben, doch der Allmächtige hat abgelehnt. Er hat gesagt, er sei kein Mensch, er trete einem alten Juden nicht in den Hintern.«
    »Wenn du nicht sofort zur Sache kommst, erwürge ich dich eigenhändig. Auch ich werde nächstes Jahr fünfzig. Da kann man nur noch ein bestimmtes Maß an Spannung ertragen.«
    »Überlegen Sie mal, Madame Clara. Nach welcher Straße hat denn Ihr Bruder vor ein paar Minuten gefragt?«
    »Nach der Taunusanlage. Warum?«
    »Was gibt es denn dort?«
    »Was soll es schon in der Taunusanlage geben? Trümmer und missmutige Menschen. Und soviel ich weiß, neuerdings ein Wasserhäuschen, in dem man wieder Lakritze und Brause kaufen und sich besaufen kann.«
    »Wie wär’s mit dem Amerikahaus? Taunusanlage 11.«
    »Das Amerikahaus ist mir nicht so präsent wie dir. Du hockst ja mindestens dreimal in der Woche von morgens bis abends dort.«
    »Künftig sechsmal in der Woche«, sagte Erwin. »Samstags allerdings nur bis mittags. Doch, doch, schaut mich ruhig alle an. Ihr dürft mich auch anfassen. Ich bin kein Wesen von einem anderen Stern. Ab dem 1. Juni bin ich wieder ein Mensch. Ich fresse nicht mehr die Rente meiner Mutter auf, und ich pumpe meinen gutherzigen Schwager nicht mehr an. Ich stehe jeden Morgen um sieben Uhr auf und freue mich montags schon auf den Sonntag. Wenn mir einer prophezeit hätte, ich würde auf meine alten Tage Arbeit für einen Segen halten, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Nichtstun nicht ertragen. Mir wurde schlecht, wenn ich in den Spiegel schaute, ich habe mich gegrämt, wenn Fritz das Haus verließ, ich war sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis die Männer mit der Zwangsjacke hier einmarschierten, um Erwin Sternberg nach Niederrad zu schaffen.«
    Sie umstanden den Helden des Tages – seine Mutter mit hochrotem Gesicht, stumm geworden im Glück ihrer Erleichterung. Als Fritz endlich mit dem Satz zufrieden war, von dem er fand, er würde der Situation gerecht werden, sprach er Holländisch. Claudette, wie immer vom Unerwarteten geängstigt, starrte ihre Fingernägel an. Noch traute sich auch Fanny nicht, ihren Onkel anzureden. Sie kniete sich vor Ora nieder, die wieder »Häschen in der Grube« auf ihrer Mundharmonika spielte. »Pst«, mahnte sie. »Jetzt muss dein Häschen ganz, ganz still sein.«
    »Ein glückliches Herz hat hüpfende Beine«, zitierte Clara. »Das stand in meiner Schulfibel. Los, Ora, spiel auf. Hol das Häschen aus der Grube. Onkel Erwin braucht Musik. Er will in den Himmel hüpfen. Vorher aber klärt er uns noch auf. Bist du auf die Leute im Amerikahaus einfach zugegangen?«
    »Weiß Gott nicht«, erzählte Erwin. »Sie auf mich. Einer der leitenden Herren hat zufällig mitbekommen, wie ich einer auffallend hübschen Studentin, mit der ich mich oft unterhalte, den Unterschied zwischen Erich Kästner und Hermann Kesten erklärte. Anschließend habe ich ihr auch verraten, dass Stefan Zweig und Arnold Zweig keine Brüder sind. Zum Schluss rückte ich damit raus, dass die Tochter von Thomas Mann kurzzeitig mit Gustaf Gründgens

Weitere Kostenlose Bücher