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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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verheiratet war. Leider musste ich ihr dann auch erklären, wer Gustaf Gründgens ist.«
    »Und das hat gereicht, um meinem Bruder eine Stellung anzubieten?«
    »Absolut. Unsere amerikanischen Befreier sind nicht so mäkelig wie du. Schon zwei Tage später hat mich der aufmerksame Lauscher angesprochen und mir die Position als stellvertretender Büchereileiter angeboten. Ich habe ihm erklärt, dass ich nichts kann außer lesen, schreiben und zeichnen, doch ihm hat mein Englisch imponiert und vor allem meine Biografie. Die Amis haben ja schreckliche Angst, dass sich ein Nazi bei ihnen einschmuggelt. Seit gestern ist die Sache perfekt. Ich bin vor Freude fast verrückt geworden, habe die ganze Nacht nicht geschlafen und war heute Morgen noch so durcheinander, dass ich nicht wusste, wie ich’s euch erzählen sollte.«
    »Du hast wieder einmal alles verwechselt, was zu verwechseln ist«, grinste Clara. »Du hättest uns ruhig reinen Wein einschenken können. Arbeit ist keine Schande. Es muss sich niemand schämen, wenn er sein tägliches Brot selbst verdienen will. Nur deine Schwester sollte sich schämen. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie neidisch auf ihren hoch geschätzten Bruder.«
    »Das vergeht«, tröstete Betsy. »Wenn ich etwas weiß, dann das. Neid und Eifersucht hielten bei euch nie länger als zehn Minuten an.«
    Es war nachts um eins, als Fritz, auf dem Weg zum Balkon, um eine Zigarette zu rauchen, Clara in der Küche entdeckte. Zunächst dachte er, sie würde lesen. Dann fiel ihm auf, dass ihre Schultern bebten und sie schwer atmete. Der erste Gedanke war, sie nicht zu beschämen, ihren Stolz nicht zu verletzen, sich nicht bemerkbar zu machen, doch die Vorstellung war ihm unerträglich, Clara mit ihrem Schmerz allein zu lassen. So geschah es, dass eine halbe Stunde später der Glaskrug mit der Bowle leer war und Schwager und Schwägerin einander küssten.
    »Was hätten wir eigentlich gemacht, wenn Erwin gekommen wäre? Oder meine Mutter? Oder Fanny?«
    »Wir hätten überzeugend darlegen können, dass wir beide mündig sind und dass das, was soeben geschehen ist, schon lange fällig war. Jedenfalls bei mir.«

5
Mein Hätschelbub
25. Juli 1949
    Im Juli 1949 gab der Frankfurter Wirtschaftsrat überraschend einige lang vermisste Küchengewürze frei. Mit einem Mal boten selbst kleine Kolonialwarenläden und die Metzgereien in den Nebenstraßen Tütchen mit Pfeffer, Muskat und Piment an.
    Betsy kam von der Berger Straße mit Koriander nach Hause. »Nicht dass Josepha oder ich je Koriander benutzt hätten«, erzählte sie ironisch. »Wir waren beide der Meinung, das Zeugs verdirbt nur den Geschmack, aber seitdem habe ich verlernt, meinen Kopf zu schütteln, wenn man mir was anbietet. Die Metzgersfrau, die bis zur Währungsreform nur das Wort ›Nein‹ in ihrem Sprachschatz hatte, behauptet tatsächlich, Schweinebraten würde am besten gelingen, wenn er mit Koriander eingerieben wird. Da kann man mal wieder sehen, dass Juden nichts zu lachen haben. Sie bekommen wunderbare Ratschläge und wunderbares Schweinebratengewürz und haben, auch wenn sie nicht koscher leben, eine atavistische Abneigung gegen alles, was vom Schwein kommt. Wetten, dass Koriander nicht für süßen Karpfen taugt, und von Matzeknödeln mit Piment habe ich auch noch nie gehört.«
    »Deine Sorgen möchte ich haben«, sagte Erwin.
    »Ich auch«, erwiderte Betsy. »Ich frage mich schon lange, was Gott davon hält, wenn ich mich mit Salz und Pfeffer beschäftige. Als wäre nichts geschehen.«
    Frauenzeitschriften, Radiosendungen für die Frau und selbst Tageszeitungen brachten Rezepte für Pfefferrouladen, Pfeffersaucen und Pfeffergulasch. Sie empfahlen Muskat für Blumenkohlaufläufe, Piment für den »blutbildenden Salat aus Roter Bete« und bei Fieber lauwarmen Tee mit einer Mischung aus Piment und Koriander. Eine neue Zeit zog in die deutschen Küchen und Gaststuben ein. Die Mayonnaise wurde nicht mehr mit Mehl gestreckt, der Pfannkuchenteig nicht mit Wasser, Milchpulver, Trockenei, schwarzes Mehl und der ungeliebte Maisgrieß, von dem kolportiert wurde, er sei die Rache der Amerikaner an den besiegten Deutschen, verschwanden aus den Regalen. Endlich konnte man die Gäste, mit denen man gemeinsam Radio hörte, wieder bewirten – Schlagersendungen begeisterten Jung und Alt, ebenso Hörspiele und Kabarett mit Werner Finck, Lore Lorentz und Günther Neumann. Das anspruchsvolle Ratespiel »Quiz zwischen London und Frankfurt«, für das

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