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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Kugelknöpfen fehlten, hatte einen altmodischen gelben Holzreifen in der Hand. Es gab keinen Zweifel, dass die Kleine die Tochter eines amerikanischen Besatzungssoldaten war. Fritz rechnete sich aus, dass sie höchstens drei Jahre alt sein konnte; erschrocken und auch beschämt überlegte er, ob andere Menschen die gleichen Berechnungen anstellten, wenn sie Ora sahen. Der gelbe Reifen, der mit einem Stöckchen getrieben wurde, erinnerte ihn an seine Kindheit im Frankfurter Westend, an kleine Buben im Matrosenanzug und an schimpfende Kindermädchen, die aufgeregt hinter ihnen hergerannt waren. »Wenn du noch einmal jemanden anrempelst, Fritz, nehme ich dir deinen Reifen weg. Dann kannst du ihn im Keller besuchen.« – »Ich habe die Frau nicht angerempelt, Mutter, sie ist in mich gelaufen.« Das Kind aus der wirklichen Welt missverstand den sehnsüchtigen Blick des Träumenden. »Ich bin die Marianne«, sagte es erfreut.
    »Das ist aber ein schöner Name.«
    »Die Kinder rufen Bimbo, wenn sie mich sehen. Sie wollen nicht mit mir spielen.«
    »Das finde ich gar nicht nett.«
    »Da, spielst du jetzt mit mir. Ich habe auch einen Ball. Einen guten Ball aus Gummi.«
    »Heute nicht«, bedauerte Fritz.
    »Morgen auch nicht«, wusste die schöne Marianne. »Du hast gelügt.« Sie stampfte einen kleinen Stein in die feuchte Erde und rannte davon.
    Fritz sah dem Kind schuldbewusst nach. Er verachtete Leute, die Kinder enttäuschten. »Vollidiot«, räsonierte er. Ein kleiner roter Gummiball rollte ihm vor die Füße. Er wollte ihn in die Richtung kicken, aus der er kam, doch der Ball sprang auf die Straße. Ein Opel Kadett mit einem Fahrer, der seine Hand nicht von der Hupe nahm, rollte darüber.
    Die kleine Marianne war zurückgekommen. Sie warf den Holzreifen hin, schrie aus Leibeskräften und trommelte mit beiden Fäusten auf seinen Bauch. »Mein Ball«, schrie sie, »du hast ihn kaputt gemacht.«
    Fritz kramte verstört in seiner Jackentasche, er fand drei einzelne Markstücke, drückte sie dem weinenden Kind in die Hand und sagte: »Kauf dir einen neuen Ball, das habe ich nicht gewollt. Für drei Mark bekommst du einen Ball, der noch viel schöner ist, als deiner war.«
    Eine alte Frau in einer braunen Kittelschürze und mit aufgelöstem Haarknoten humpelte über die Straße. Sie nahm dem schluchzenden Kind das Geld aus der Hand, schaute Fritz, der von der Bank aufgestanden war, wütend an und schimpfte: »Mannsbilder! Ihr seid’s alle gleich! Glaubt, ihr könnt mit euern lumpigen Kröten die ganze Welt kaufen.«
    »Nein«, sagte Fritz, »so war’s nicht.«
    Die aufgebrachte Alte schleifte das Kind hinter sich her. Fritz wurde übel, als ihm bewusst wurde, dass ihm der Mut fehlte, sich einzumischen. Er lief eilig in Richtung Berger Straße, merkte nach fünf Minuten, dass er seine Aktentasche auf der Bank hatte liegen lassen, und rannte zurück zum Spielplatz. Die Aktentasche stand noch da, doch trotz seiner Erleichterung war er missgestimmt und grüblerisch. Weshalb hatte er wochenlang mit dem Wohnungsamt und dem Ehepaar Neugebauer verhandelt und war kein einziges Mal auf die Idee gekommen, mit Clara und Erwin zu sprechen? Wie sollte er ihnen jetzt erklären, dass es ihm allein um Betsy gegangen war und nicht darum, für einen gelungenen Coup bewundert zu werden?
    Beim Bäcker auf der Höhenstraße kaufte er ein Puddingstückchen für Ora. Der Gedanke, wie sich Ora freuen würde, dass das Puddingstückchen eine Kirsche in der Mitte hatte, richtete ihn auf. »Für das Enkeltöchterchen«, sagte die Bäckerin mit dem großen Busen. Fritz kannte sie nur lächelnd und lächelte auch.
    »Sie kommt sich persönlich bedanken«, versprach er.
    Er merkte, dass sein Kopf wieder frei war, und beschloss, noch ehe er am Zaun vom Haus stand, sein Gespräch mit Anna und Hans nicht zu erwähnen. »Nicht vor den Feiertagen«, schränkte er ein. Er war bereits drei Stufen über der Parterrewohnung, als er sich umdrehte und dem Kinderdrang nachgab, die Zunge herauszustrecken. Im gleichen Moment merkte er, dass Clara vor der Wohnungstür stand. »Das hat nichts zu bedeuten«, stammelte er, »wirklich nicht.«
    »Natürlich nicht«, bemühte sich Clara um einen ernsten Ton, »du läufst jeden Tag herum und streckst unseren Mietern die Zunge raus. Das habe ich auch getan. Ist zwar schon ein paar Jahre her, aber immerhin sind es dieselben Mieter. Wo bist du eigentlich gewesen? Wir wollten gerade mit dem Essen anfangen. Claudette hat uns ein

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