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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Clara und Claudette schnippelten den Obstsalat und bejubelten jede Banane. Betsy konstruierte aus zwei Schnapsgläsern einen Behälter für die Feiertagskerzen und brachte – mit belegter Stimme – ihrer Urenkelin den Segensspruch für das Brot bei. Am meisten weinte Anna. Sie schwor, der Meerrettich, den sie rieb und der mit Roter Bete gemischt wurde, sei schuld. »Der Kren muss jüdisch sein. So war’s immer bei uns«, schniefte sie.
    »Die Karotten auch«, bestimmte Betsy. »Meine Großmutter hat sie immer mit Rosinen gemacht.«
    Fritz, Fanny und Erwin kamen schon mittags nach Hause. »Auf Feiertagsarbeit liegt kein Segen«, wusste Fritz. Für die Festtafel machten sich Erwin und er daran, sämtliche Möbel mit vier Füßen und einer Stellfläche aneinanderzurücken. Allerdings gelang das Unternehmen erst zwei Stunden nach Beginn der Arbeit. Da übernahm Hans die Leitung. Er brachte zwei große Tischtücher mit, drei Flaschen Ingelheimer Rotwein und die drei Kinder – den kleinen Erwin, der sich immer noch schwertat zu begreifen, dass es auch einen großen Erwin gab, die kecke Sophie und Lena, die Betsy »Oma« nennen durfte.
    Um fünf Uhr nachmittags zog Fritz sein bestes Hemd an und machte sich zum Gottesdienst in den Baumweg auf.
    »Wie gestern«, murmelte Betsy, als sie Fritz nachschaute. »Wir haben immer auf Kohlen gesessen, bis Johann Isidor aus der Synagoge zurück war. Josepha hat schrecklich gejammert.«
    »Nur wenn die Suppe verkocht ist«, verteidigte sich Josepha.
    Fritz setzte eine alte Familientradition fort. Genau wie einst Johann Isidor brachte er einen Gast aus der Synagoge mit, der ohne ihn nicht die Möglichkeit gehabt hätte, Rosch haschanah in einem jüdischen Haus zu feiern. Der Fremde war aus Montevideo, er war dabei, in seiner Geburtsstadt seine Entschädigungsansprüche anzumelden und hatte erst für den November Schiffskarten bekommen, um in seine neue Heimat zurückzureisen. Er mochte um die fünfunddreißig sein, war dunkelhaarig, auffallend schlank und besonders liebenswürdig. Seine Eltern und seine Schwester, erzählte er, nannten ihn immer noch Hans, für alle anderen hieß er Juan. »Don Juan«, lachte er, »geboren in der Gagernstraße.«
    Seine Muttersprache kam ihm nicht mehr fließend über die Lippen, seinen Frankfurter Akzent hatte er behalten. Don Juan bezauberte die Damen – von Betsy bis Ora – mit seinem Lächeln. Als er neben Fanny platziert wurde, strahlte er.
    Die tauschte, was nur Clara bemerkte, zwischen Suppe und Huhn ihre hochgeschlossene weiße Bluse gegen eine tief ausgeschnittene rote. In der Küche fragte sie: »Hast du denn schon einmal von Montevideo gehört?«
    »Natürlich«, sagte Claudette. »Liegt das nicht in Argentinien?«

7
Don Juan schreibt nach Hause
Oktober bis Dezember 1949
    Frankfurt, den 5. Oktober
    Mein lieber Vater, meine geliebte Mama!
    Erst als ich ihn einsteckte, ging mir auf, wie sehr Euch mein Brief beunruhigen würde. Ich schäme mich immer noch. So unmittelbar vor den Feiertagen, allein in dieser Stadt, die immer noch eine scheußliche Trümmerwüste ist, und mit den vielen ungebetenen Erinnerungen hat mir das Leben sehr viel mehr zu schaffen gemacht, als ich zu Hause dachte. Schon die Aussicht, Gott um seinen Segen für das neue Jahr in der kümmerlichen Betstube im Baumweg zu bitten (vielleicht erinnert ihr Euch an das Haus, alle anderen Synagogen sind nicht mehr), und der Gedanke an das schäbige Zimmer in der Eppsteiner Straße (Westend), das ich derzeit bewohne, und dass ich mich hauptsächlich von Brot, Wurst und den Beteuerungen der Wirtin ernähren muss, dass sie immer gegen die Nazis gewesen ist und mehr als einmal mit »einem Fuß im KZ gestanden« hat, all das hat mich sehr trübe gestimmt. Ich war finster entschlossen, so wenig Notiz wie möglich von Rosch haschanah zu nehmen. Doch wie du immer sagst, liebe Mutter, der Mensch denkt und Gott lenkt. Mir hat er so energisch befohlen, meiner Weinerlichkeit nicht nachzugeben und am Erew Rosch haschanah in den Baumweg zu gehen, dass ich es tatsächlich tat. Dort ist dann etwas geschehen, über das ich immer noch staune. Sozusagen eines jener kleinen, großen Wunder, mit der wir in unserer Familie im Laufe der Jahre so reich bedacht wurden.
    Mein Nachbar in der Synagoge, ein Rechtsanwalt, der die Nazizeit in Holland überlebt hat und nach Frankfurt zurückgekehrt ist, hat die gleiche Angewohnheit wie du, lieber Vater, Fremde aus der Synagoge mit nach Hause zu nehmen, damit

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