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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Kindern im Sand buddeln will. Verzeiht mir, neuerdings geht der Gaul immer zu schnell mit mir durch. Ich bekomme einfach den Mund nicht rechtzeitig zu. Ist eine typische Erscheinung bei alten Leuten.«
    »Fünf Zimmer und zwei Balkons«, murmelte Anna, »und der Vorgarten mit Fliederbaum und Rosen. Wenn man das Schlafzimmer nach hinten hat, sieht man beim Aufwachen den Kirschbaum und hört die Vögel zwitschern, und wahrscheinlich höre ich noch ganz andere Dinge. Unter dem Kirschbaum hat mir Erwin erzählt, dass er Maler werden will. Lange war ich die Einzige, die das wusste.«
    »Du sprichst von deinem Vaterhaus«, erinnerte sie Fritz. »Dein Vater hätte gewollt, dass deine Familie und du in dem Haus lebt, das er für seine Familie gebaut hat. Glaub ja nicht, ich wüsste nicht, dass du seine Lieblingstochter gewesen bist. Betsy erzählt mir das immer wieder, und oft habe ich den Eindruck, sie denkt ebenso.«
    »Du vergisst, dass ich noch nicht mal ihre Tochter bin. Ich wollte immer …«
    »Das hat sie selbst vergessen«, unterbrach sie Fritz. »Deine Geschwister haben ebenfalls vergessen, wie du in die Familie gekommen bist. Und jetzt rede ich von mir: Ohne dich und Hans, die ihr im Krieg jahrelang Fanny unter Lebensgefahr versteckt habt, hätte ich beide Kinder verloren. Du warst es, die Fanny aus dem Todestransport gezogen hat, Anna. Du hast ihr den gelben Stern vom Mantel gerissen. Ihr seid für sie Eltern, Hoffnung und Leben gewesen. Glaubst du, es vergeht ein einziger Tag, an dem ich nicht daran denke? Oder dass Fanny nicht daran denkt?«
    »Unsere Sophie hat ganz recht: Du kannst wirklich zaubern«, lächelte Anna. »Du bist wie Erwin, wenn du jemanden zu etwas überreden willst. Ich habe als Kind schon immer gefunden, dass Erwin mit Worten zaubert.«
    »Ich will euch zu nichts überreden. Ich habe lediglich an das erinnert, was war. Ich habe gehofft, das reicht.«
    »Es hat gereicht«, seufzte Hans. »Ich geb’ mich geschlagen. Häng die weiße Fahne raus, Anna. Dein Gesicht spricht Bände.«
    »Ich habe«, gestand Anna später, »immer davon geträumt. Seit dem Tag, als mich Vater in das möblierte Zimmer nach Sachsenhausen brachte, weil er Angst hatte, wir würden Schwierigkeiten bekommen, wenn ich mit ihm unter einem Dach wohnen blieb. Damals habe ich zum ersten Mal das Wort Rassenschande gehört. Es wusste ja keiner außer der Familie und Josepha, dass ich seine Tochter war. Es wäre für die Nazis ein Kinderspiel gewesen, ihm ein Verhältnis mir einem arischen Mädchen anzuhängen.«
    »Ohne das möblierte Zimmer in Sachsenhausen hätten wir uns nicht kennengelernt«, erinnerte sie Hans. »Ich verkehrte damals nicht in Kreisen, die in der Rothschildallee wohnten. Prost, Herr Doktor Feuereisen. Du bist ganz schön im Hintertreffen mit dem Trinken. Ich lass dich nicht weg, ehe du schwankst. Bei Hans Dietz gehen Freunde nicht nüchtern aus dem Haus.«
    »Falls ihr das Gefühl habt, die Wohnung ist zu groß für euch vier«, rückte Fritz nach seinem vierten Korn heraus, »bin ich auf die Idee gekommen, ihr könntet vielleicht ein Zimmer in eurem Herzen für Josepha frei machen. Das Altersheim ist nichts für sie. Sie ist doch erst neunundsiebzig und fühlt sich zu jung, um Däumchen zu drehen und auf das Ende zu warten. Auch sie hat noch einen Traum, sie träumt davon, das Rad der Zeit zurückzudrehen und Betsy im Haushalt zur Hand zu gehen. Sie sagt immer, Clara wäre dazu zu gescheit. Aber überlegt euch das in Ruhe. Ich habe euch heute schon genug überrumpelt.«
    »Wir haben in unseren Herzen nicht nur ein Zimmer für Josepha frei, sondern einen ganzen Palast«, versicherte Hans. »Ich finde es gut, wenn sie zu uns kommt. Sie gehört in die Rothschildallee und in ihre alte Familie. Allerdings sollten wir etwas klarstellen: Wir sind nicht mehr vier. Wir sind jetzt zu fünft.«
    Als Fritz sich beim Aufstehen am Tisch festhalten musste und es ihm trotzdem kaum gelang, den Wänden auszuweichen, die er auf sich zustürzen und schwarz werden sah, ging ihm auf, dass er zum ersten Mal seit Jahren mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte. »Na, denn Prost«, sagte er fröhlich, »Nachfreude ist besser als Vorfreude.« Sein Stuhl fiel um und um ein Haar auch die nur noch halb gefüllte Flasche Korn. »Prost«, rief er wieder. Er klopfte Hans so fest auf dem Rücken, dass der im Sitzen torkelte, und trompetete: »Du bist wirklich ein toller Hecht, Hans Dietz!« Dann drückte er Anna an sich, sagte zum

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