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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Hitler tot ist und dass Betsy Sternberg überlebt hat, zieht aus. Beziehungsweise die Neugebauers und ihre sämtlichen Untermieter müssen ausziehen. Betsy weiß es noch gar nicht. Ich wollte erst mit euch sprechen.«
    Nur das Ticken der Küchenuhr und Sophie, die immer noch mit Lena über grüne Bonbons und Zauberer stritt, waren zu hören. Anna starrte auf ihre Hände, Hans ebenso benommen zum Fenster hinaus. Nach fünf Minuten sagte Anna: »Ach!«, danach verschluckte sie sich an einem »Nein«. Hans klopfte ihr auf den Rücken, schaute zu Boden und fragte: »Wie ist denn das alles so plötzlich gekommen?«
    »Nicht plötzlich. Ich arbeite seit Monaten daran, die Wohnung freizubekommen«, erklärte Fritz. »Die meiste Zeit hatte ich erstens Angst vor meiner eigenen Courage und zweitens vor einem Verfahren wegen Beamtenbestechung. Zum Glück sind aber deutsche Beamte nicht mehr so heikel wie früher.«
    »Wem sagst du das?«
    »Ich muss euch ja nicht sagen, was es für Betsy bedeutet, wenn Anna endlich nach Hause kommt«, malte Fritz die Zukunft aus. Es war weder Kalkül noch Zufall, dass er »nach Hause« sagte. Es war ihm Bedürfnis und Selbstverständlichkeit.
    Anna stand schwerfällig auf, holte das rotweiße Leinentuch vom Haken, das ausschließlich für teure Gläser und gute Glasschüsseln bestimmt war, rieb damit ihre Augen trocken und setzte sich zurück an den Küchentisch. Sie zog die Schublade auf, holte die Zigarrenschachtel mit den bunten Seidenbändern heraus, die sie für Sophies Zöpfe brauchte, ordnete sie nach Länge und Farbe und stopfte sie achtlos zurück in die Schachtel. »Mir dreht sich alles«, schluckte sie, »ich komme mir wie besoffen vor.«
    Hans steckte beide Hände in die Achselhöhlen, er schaute Fritz aus Augen an, in denen Ratlosigkeit und Unruhe waren. »Meinst du das im Ernst, dass wir in die Rothschildallee ziehen sollen? Das kann doch nur ein Witz sein, und wenn du mich fragst, kein guter, mein Lieber. Oder habe ich was übersehen? Redest du am Ende gar nicht von Hans und Anna Dietz? Weißt du, das sind kleine Leute mit einem begrenzten Horizont. Aber sie haben auch ihren Stolz.«
    »Bei allem, was mir heilig ist, ich war noch nie so ernst wie in diesem Moment. Komm, Anna, beruhige dich. Du machst mich ganz verlegen. Ich habe dich noch nie weinen sehen. Selbst, als ich vor der Tür stand und du nicht glauben wolltest, dass der dünne, blasse Kerl, den deine Tochter auf der Straße aufgelesen hatte, Fritz Feuereisen war, hast du nicht geweint. Ich war’s, der geheult hat. Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich an unser Wiedersehen denke.«
    »Damals«, erinnerte sich Anna, »hatte ich keine Zeit für Tränen.« Sie war weit weg, und doch war sie wieder der Fels, der sie in den Zeiten von Not und Todesangst gewesen war. »Damals musste ich Fanny beibringen, dass ihr Vater überlebt hatte, und konnte es doch selbst nicht glauben. Ich war ganz sicher, dass du ein Gespenst bist und dass Gott mich zum Narren halten will. Jetzt weiß ich, dass es dich gibt, und ich weiß auch, dass du immer meinst, was du sagst, aber ich stehe genauso dumm da wie damals. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Ich weiß, was ich sagen soll«, donnerte Hans. »Was ich sagen muss. Ich muss dich daran erinnern, dass du die Frau eines miesen kleinen Arbeiters bist, Anna. So einem steht es nicht zu, in die feine Rothschildallee zu ziehen. Ein Arbeiter bleibt ein Arbeiter. Auch wenn er das große Los zieht und täglich zwei Schnitzel isst und sein Bier aus einem silbernen Pokal säuft.«
    »Um Himmels willen, Hans! Seit wann ist ein Drucker ein mieser kleiner Arbeiter? Glaubst du, Gutenberg würde heute nicht in die Rothschildallee ziehen? Und wenn du ein paar Schritte von unserem Haus geradeaus gehst, kommst du in die Egenolffstraße. Egenolff war auch Drucker. Er hatte die erste Buchdruckerei in Frankfurt. Der wäre ganz gewiss fein und solvent genug für unser Haus gewesen. Und willkommen.«
    »Bist du sicher, dass du noch von uns sprichst?«, unterbrach ihn Hans.
    »Todsicher. Übrigens: So fein wie vor dem Krieg ist die Rothschildallee nicht mehr. Sie wird es auch nicht mehr werden. Die Bomben haben nicht nur die Häuser und den Bürgerstolz der Frankfurter zerstört, sie haben auch die gesellschaftlichen Schranken niedergerissen. Irgendwann werden das selbst die Spießbürger und Dummschwätzer kapieren, die unsere kleine Ora scheel ansehen und die Nase rümpfen, wenn sie mit ihren feinen

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