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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Soufflé gemacht, und bekanntlich zerfallen Soufflés, wenn man sie nur scharf anschaut.«
    »Ich habe in meinem ganzen Leben kein Soufflé scharf angeschaut«, verteidigte sich Fritz.
    »Wer zu spät kommt, findet leere Schüsseln«, begrüßte ihn Erwin. »Hat Josepha immer gesagt, wenn ich nach der Schule nicht schnell genug nach Hause fand.«
    »Und dich in der Küche heimlich mit dem Frankfurter Kranz für mein Damenkränzchen vollgestopft«, erinnerte sich Betsy. »Ich wette, dass sie das heute noch tun würde. Bei ihr ist ja jedes zweite Wort Erwin.«
    »Bald jedes«, sagte Fritz.
    »Jedes was?«, fragte Fanny.
    »Jedes Wort, natürlich. Was soll ich sonst gemeint haben? Wenn Josepha will, kann sie bald den ganzen Tag von Erwin reden. Hier in der Rothschildallee. Sie kommt nämlich wieder zu uns zurück. Natürlich nur, wenn sie will. Anna und Hans und die Kinder auch. Die wollen.«
    Noch während er sprach, dämmerte Fritz, welche unselige Mischung die frische Luft und der Alkohol eingegangen waren. Er trommelte mit der Rechten auf den Tisch und schloss die Augen. »Sie sind der größte frei herumlaufende Idiot, Rechtsanwalt Dr. Feuereisen«, stellte er fest.
    Für die Geschichte, die ihm verfrüht entschlüpft war, und um von Hans’ und Annas Zustimmung zum Umzug in die Rothschildallee zu erzählen, brauchte er trotz der vielen Fragen, die auf ihn niederprasselten, und der Erklärungen, die fast nach jedem Satz fällig waren, nur eine Viertelstunde. Nur Clara sah die Tränen, die ihre Mutter weinte. Erwin war blass und hatte Kinderaugen, und Claudette hörte erst zu weinen auf, nachdem auch das zweite Taschentuch durchnässt war. Ora nutzte die Zeit der Erregung, um das Puddingstückchen, das ihr bei gutem Betragen in Aussicht gestellt worden war, auf der Stelle zu essen. Puppe Debbie bekam die Kirsche. Das Soufflé überlebte nicht. Entsetzt starrte Betsy die verbrannte Auflaufschüssel an. Dann zwinkerte sie und bestimmte: »Wir weichen sie ein und warten auf Josepha. Sie hat sich nie von einer verkohlten Schüssel den Schneid abkaufen lassen.«
    Noch in der Nacht saß sie in einem Ohrensessel, der sie an den grünen Lederstuhl in Johann Isidors Arbeitszimmer erinnerte. Erst verwechselte sie die Bilder, dann die Zeiten. Tante Jettchens Papagei Otto, der »Franzbrot und Rotwein« hatte sagen können, saß auf der Gardinenstange. Später sah sie Josepha mit dem Henkelkorb zum Gemüsehändler in die Wiesenstraße ziehen, bewegt dachte sie an ihren Mut und wehmütig an den Kirschauflauf, nach dem Vicky, damals sechs Jahre alt und sehr heimwehkrank, im feinen »Badhotel zum Hirsch« in Baden-Baden verlangt hatte. Betsys letzter Gedanke an diesem Tag galt der eigenen Kindheit – der kleinen Betsy, Tochter des angesehenen Juweliers Strauß in Pforzheim, hatte die französische Gouvernante eingebläut, das Schlafzimmerfenster nie zuzumachen. »Sonst kann dein Schutzengel nicht rein, ma petite.«
    Am nächsten Morgen hatte selbst Clara, die es ab ihrem dreizehnten Lebensjahr vermieden hatte, sich bei Feiertagsvorbereitungen nützlich zu machen, das Bedürfnis, am Küchenleben teilzunehmen. Es war Freitag, der 23. September, am Abend begann Rosch haschanah. Anna stand um acht Uhr morgens vor der Haustür, Josepha noch früher. Selbst Erwin konnte sie nicht davon abhalten, beim Bäcker am Merianplatz den bestellten Mohnzopf abzuholen. »Mit achtzig rennt man nicht gleich auf die Berger Straße, wenn man gerade gekommen ist, Josepha. Da setzt man sich auf einen Stuhl, jammert über seine Beine und trinkt Kaffee.«
    »Neunundsiebzig bin ich, du Tunichtgut, und über meine Beine habe ich mein ganzes Leben noch nicht gejammert. Wenn’s die Bäckerin von damals ist, kann ich ihr endlich danken, dass sie mich bedient hat, obwohl sie wusste, dass eine Challa nur in einem jüdischen Haus am Freitag gegessen wird. Damals hatte ich so viel Angst vor den Nazis, dass ich den Mund nicht aufgekriegt habe.«
    »Du hast nie Angst vor den Nazis gehabt, Josepha. Die hatten Angst vor dir. Genau wie ich.«
    »Wann wirst du endlich erwachsen, Bub?«, lachte Josepha glücklich.
    Die beiden Hühner auf Zitronenreis gelangen ihr, als hätte sie in den letzten zwölf Jahren jedes Rosch haschanah Hühner auf Zitronenreis zubereitet. Der Fisch war Betsys Werk – zwar nicht mehr Karpfen wie früher, doch der Kabeljau, süß zubereitet und mit Zitronenscheiben, Karotten und Petersilie dekoriert, war auf der großen Platte eine Augenweide.

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