Neubeginn in der Rothschildallee - Roman
die ich als so wohltuend bescheiden empfinde – im Gegensatz zu den anspruchsvollen Prinzessinnen, die unsere Emigrantenfreunde in Monte heranzüchten –, ist da keine Ausnahme. Sie hat auf delikateste Art probiert, mir die weißen, roten und blauen Handschuhe aus der Kollektion abzuluchsen, und war total überwältigt, als ich ihr sagte, sie dürfte sich bei sämtlichen Farben nach Belieben bedienen. Dem frechen Don Juan, der zu alt für solche Bubenstücke sein sollte, war angesichts ihrer Freude dann das Geständnis doppelt peinlich, dass es sich bei den Handschuhen der erlesenen Kollektion ausschließlich um linke Stücke handelte, die ihm der Hersteller als Muster mit auf seine Deutschlandtour gab.
Mir fiel bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal auf, dass Fanny, die meistens sehr ernst wirkt und die für ihr Alter erstaunlich reif ist, einen wunderbaren Humor hat. Sie kann das, was die wenigsten Menschen können: lachen über sich selbst. Claudette hat nur noch gewiehert, und ich habe mich prompt auch von Fannys Heiterkeitsausbruch anstecken lassen.
Apropos Claudette. Ich habe den lieben Fritz im Verdacht, dass er sich einen Kuppelpelz verdienen möchte. Er hat mich verdächtig oft darauf hingewiesen, dass Claudette und ich altersmäßig wunderbar zusammenpassen würden, wie warmherzig und bescheiden sie sei (was meiner Meinung nach mindestens so sehr auf seine Tochter Fanny zutrifft) und dass die kleine Ora so ein besonders liebes Kind wäre. Vor einigen Tagen ging er sogar so weit, dass er mich mitten in einem Gespräch über die wirtschaftliche Entwicklung in Uruguay fragte, ob dunkelhäutige Kinder in Monte überhaupt auffallen.
Um keine falschen Hoffnungen zu wecken, habe ich ihm dann doch ziemlich unmissverständlich erklärt, dass ich noch in einem Alter bin, in dem ich meine Kinder gern selbst produziere, und dass ich im Glücksfall auch Spaß an der Produktion habe. Der gute Fritz ist tatsächlich rot wie eine Tomate geworden. Er hat sich so rührend entschuldigt, dass ich mich sofort verpflichtet fühlte, ihm die unrühmliche Geschichte meiner kurzen Ehe zu erzählen, als die »warmherzige« Inocenta, die altersmäßig so gut zu mir passte, ihr Herz gleichzeitig für den Heldenverschnitt aus Rio, für Vaters goldene Uhr und Mutters Ehering entdeckte. Leider sind Anwälte ziemlich abgebrüht, wenn es um die Mannesehre eines anderen geht. Jedenfalls fand er es »passend zum Gesamtbild«, dass Señora Inocenta bei Nacht und Nebel mit Uhr, Ring, meiner Krawattennadel und meinem Selbstvertrauen aus meinem Leben verschwand und seitdem nicht mehr gesehen wurde.
Ich bin immer wieder sprachlos, dass Euer Sohn, den wir doch alle im Gegensatz zu seiner entzückenden Schwester als verschlossen und misstrauisch kennen, hier so viel von sich selbst preisgibt und dass ihm das auch noch guttut. Wahrscheinlich, weil er das Gefühl hat, er würde die Sternbergs, Fritz und Fanny schon seit Urzeiten kennen, und weil er dieses Gefühl der Vertrautheit bisher nur bei seinen Eltern und seiner Schwester hat genießen dürfen. Übrigens spiele ich mit dem Gedanken, erst das nächste Schiff nach Buenos Aires zu nehmen – die Fähre nach Montevideo ist ja kein großes Problem, außerdem ist Euer Sohn bekanntlich ein Meisterschwimmer. Nebbich!
Fahre ich nämlich, wie ursprünglich geplant, schon im November aus Deutschland ab, so muss ich doch auf einiges verzichten, was notwendig ist, um unsere Ansprüche in die Wege zu leiten. Besonders die Sache mit Offenbach wird dauern, obwohl Fritz so mächtig hinterher ist, als ginge es um seine eigene Fabrik. Verzeiht Ihr Eurem Sohn, wenn er a) die Pflichten, die er übernommen hat, in Ruhe und gründlich erledigen möchte und b) wenn er noch ein wenig die Wärme und Kultur genießen will, die ihn hier umgeben – könnt Ihr Euch vorstellen, dass ich in einer Verdi-Oper war? »La Traviata«, was sich leider als »Kameliendame mit Musik« entpuppte. Ich mache mir ja nicht viel aus schwindsüchtigen Damen. Fritz hatte sich jedoch solche Mühe gegeben, Karten zu bekommen, dass weder Fanny noch ich das Herz hatten, ihn zu enttäuschen. In der Pause hat sie mir zu meiner Wonne gestanden, dass sie lieber ins Kino geht, was wir übrigens auch oft tun. Hier laufen, was ich als äußerst angenehm empfinde, Filme nicht in der Originalsprache und mit Untertiteln. Sie werden synchronisiert. Wir haben gerade Orson Welles in »Der dritte Mann« gesehen. Der Film ist unglaublich gut. Seitdem geht
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