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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Hospital direkt ins Altersheim gekommen – hatte Fräulein Braumann sich von Josepha ihre einzelnen Lebensstationen schildern lassen. Den größten Teil der Zeit hatte sie schweigend und scheinbar unbeteiligt dagesessen, doch dann gleich zweimal hintereinander hatte sie »Ihre Judeleut’« gesagt und zum Schluss auch noch: »Nun brauchen die keine Köchin mehr.«
    Nach diesem Erlebnis hatte Josepha tagelang nichts essen können, nächtelang hatte sie geweint und sich immer wieder geschworen, sich eines Tages, und wenn sie bis zum Jüngsten Gericht warten müsse, an Anneliese Braumann zu rächen. Sie wollte der Frau, die sie in ihren Selbstgesprächen nur noch »das Satansweib« nannte, das antun, was sie Josepha angetan hatte, ihr den Boden unter den Füßen wegziehen, und sie einschmelzen wie einen Kerzenstummel in das Elendshäufchen, zu dem sie Josepha an ihrem ersten Tag in ihrem Altersheim gemacht hatte.
    Jedoch unmittelbar vor dem Tag der Trennung von Anneliese Braumann und dem Abschied von dem Haus, das Josepha stets als Gefängnis und als eine Stätte der Schikane empfunden hatte, merkte sie, dass ihre Rechnung nicht mehr aufging. Mamsell Krause, die Herrschaftsköchin, war nicht mehr die Frau, die die Ärmel hochkrempelte und wie ein Pferd arbeiten konnte. Sie war nicht mehr gesund genug, um für ihre Würde zu kämpfen, nicht mehr stark genug, um die Befriedigung zu genießen, die die Rache dem Rächer bringt. In dem Moment, da der Himmel ihr verhieß, es würde Goldsterne regnen und das Wasser würde zu Wein werden, ging Josepha auf, dass sie nicht mehr die Energie und die Zuversicht hatte, abermals ein neues Kapitel in ihrem Lebensbuch aufzuschlagen.
    Wie zu den Anfängen zurückkehren, wenn es keine Brücke zwischen Gestern und Heute gab? Wie wieder mit den Menschen leben, die sie liebte und von denen sie geliebt wurde? Die waren aus der Hölle zurückgekommen, Josepha war sie erspart worden. Hatten Betsy Sternberg und ihre einstige Köchin überhaupt noch eine gemeinsame Sprache, würde ihnen die mit Worten nicht erklärbare Gemeinschaft der alten Zeit vergönnt sein?
    Ab dem Tag, als Josepha erfahren hatte, dass nahezu alle Juden, die im Jahr 1941 noch in Frankfurt lebten, in die Konzentrationslager deportiert worden waren, hatte sie sich keine Illusion mehr gemacht. Sie hatte keine Hoffnung, nach dem Krieg Betsy, Johann Isidor, Victoria und die Kinder wiederzusehen. Nur von Erwin, Clara und Claudette, von denen sie wusste, dass sie sicher nach Palästina gelangt waren, hatte sie noch zu träumen gewagt. An Alice, den temperamentvollen Nachkömmling, dem selbst der strenge Vater nicht hatte widerstehen können, dachte Josepha oft. Es wärmte ihre Seele, an die Sonne in Südafrika zu denken, an das Meer, von dem Alice in ihrem allerersten Brief geschrieben hatte, an die Orangen, die dort wuchsen, und an die hohen Bäume. Ob Alice den frommen jungen Mann geheiratet hatte, von dem sie in jedem Brief schrieb, solange man noch den Eltern in Deutschland aus der Welt der Freien schreiben durfte?
    Als endlich der Schmerz von Josephas Erinnerungen ein wenig abzustumpfen begann und die Wunden nicht mehr bluteten, als aus ihrer Empörung und dem Nichtbegreifen dessen, was man ihrer Familie angetan hatte, die Resignation und die Depression des Alters geworden waren, da hatte Erwin, den sie ein Leben lang geliebt hatte wie eine Mutter ihren Sohn, vor ihr gestanden. Genauso ausgesehen hatte ihr Hätschelbub, wie ihn Josepha in Erinnerung gehabt hatte, so frech und lustig. Er hatte gelächelt, wie er als Zehnjähriger gelächelt hatte: Beim Lachen hatte er die Hände in seinen Taschen gehabt, und Josepha hatte sich vorgestellt, wie wütend Erwins Vater gewesen wäre, wenn er das gesehen hätte. Sie hatte selbst gelacht – und sich noch in der Nacht gewundert, dass sie überhaupt lachen konnte. Als Erwin Josepha an sich drückte, war sie ganz sicher gewesen, sie würde an ihrer Freude ersticken. Fräulein Braumann war seitdem so höflich, wie Josepha sie noch nie erlebt hatte; wenn Erwin zu Besuch kam, war sie wie ein schüchternes kleines Mädchen, fummelte an ihrer Bluse herum, wurde rot wie eine Tomate und wiederholte ständig: »Selbstverständlich, Herr Dr. Sternberg.« Erwin hatte Josepha zugezwinkert, denn sie wussten ja beide, dass er kein Doktor war, dass er nie einen Fuß in die Universität gesetzt hatte. Einen Riesenkrach hatte es gegeben, weil er auf die Vorhaltungen seines Vater immer wieder gesagt

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