Neubeginn in der Rothschildallee - Roman
diente und auf dem mehrere kleine Salz- und Pfefferfässchen, Senf und Maggi standen, lag über der gesamten Front. Die farbigen Glühbirnen, die »Walters Wurstparadies« erleuchteten, erinnerten an Kinderkarussells und Losbuden auf Volksfesten. Aus einem hohen Topf stieg Dampf, in zwei großen Bratpfannen brutzelten Würste. Das Fett spritzte bis an die Hinterwand der Bude.
Frauen und Männer, alte und junge, standen schwatzend an der Theke. Ein etwa vierjähriger Bub mit triefender Nase klammerte sich weinend an den Mantel der Mutter; er wurde mit einem Stück von ihrer Wurst getröstet. »Je später der Abend, desto schöner die Gäste«, rezitierte ein alter, kurzatmiger Mann, als er Fanny und Don Juan sah. Eine Frau, unverkennbar die seine, zerrte energisch an seinem Ärmel. »Nichts für ungut, der Herr«, entschuldigte sie sich bei Don Juan. »Mein Karl redet mit jedem. Der ist wie ein Hund. Nur, dass er keine Knochen frisst.« Auf zwei Papptellern lagen gelbe, in Scheiben geschnittene Würstchen. Zu jeder Portion gab es ein aufgeschnittenes Brötchen. Der Geruch, der die Nase erreichte, war fremd, aber verlockend.
»Curry«, klärte die Frau mit dem schniefenden Kind auf, »ist auch nichts anderes als Safran. Mir kann man nichts vormachen. Safran mit Pfeffer und Salz ist das.«
»Das ist doch Quatsch. Quatsch in Tüten. Von wegen Safran. Gelb ist ja nicht immer gelb«, widersprach Karl, der Redselige. »Rot ist ja auch nicht immer rot. Das haben wir ja beim Iwan erlebt.«
»Döskopp«, beschimpfte ihn seine Frau. »Aus dir kommt nur Blödsinn heraus. Curry ist ein Gewürz aus Indien. Die essen das Zeug dort den ganzen Tag und färben sich sogar die Kleider und die Haut damit, wenn sie wollen, dass man sie für Chinesen hält. Das hat mir unser Nachbar erzählt, und der versteht was vom Leben. Der ist auf der ganzen Welt herumgekommen. Sogar mit Rommel in Afrika ist er gewesen und hat sich Sumpffieber geholt.«
Eine sehr sorgsam frisierte Frau mit weißer Schürze holte zwei Würstchen aus der Pfanne, sie schnitt sie in Teile, schüttelte aus einem Behälter, der wie ein großer Zuckerstreuer aussah, dunkelgelbes Currypulver darüber und stellte sie vor zwei gut gekleidete Herren in Mantel mit Hut. Ein Mann schenkte trotz des Hinweises »Kein Alkoholausschank«, der an der Hinterseite der Bude angebracht und kaum zu sehen war, Flaschenbier aus. Er mochte um die vierzig sein. Seine Hemdsärmel waren aufgerollt; je lustiger und lauter seine Kundschaft wurde, desto ernster wirkte er. Ein großes Schild, nicht wie in den meisten Geschäften und Wirtstuben nur auf Pappe aufgezogen, sondern sorgsam gerahmt wie die Familienbilder in den Wohnzimmern gut betuchter Bürger, verkündete »Currywurst. Solange der Vorrat reicht. Wahlweise mit Brötchen oder Brot«.
»Riechst du, warum ich hierherwollte?«
»Seitdem wir hier sind«, sagte Fanny.
Sie schnüffelte, rieb sich die Nase, machte eine kleine tänzelnde Bewegung, als wollte sie vom Boden abheben, blies ihm einen Kuss zu, der so leicht war und so verzaubert wie die Wolken in den Märchenbüchern seiner Kindheit. Für den Mann aus Montevideo sah Fanny Feuereisen aus Frankfurt wie eines der hübschen Wiener Mädels im Kino aus, nur noch koketter war sie, liebenswürdiger, so viel echter als die gefälligen, stupsnasigen Filmfräuleins, die einem Mann höchstens den Kopf verdrehen, aber sein Herz nicht erreichen. Fanny war jede Torheit wert – auch die, sich für immer zu binden und beim Juwelier goldene Fesseln zu bestellen.
In diesem betäubenden Moment, in dem der Zauber der Liebe nach Curry, gebratener Wurst und abgestandenem Bier duftete, wurde Don Juan endgültig klar, dass er sich verrechnet hatte. Er war nicht der Mann, der Maß zu halten verstand, er war nicht der Geduldige und Ausdauernde, der abwarten und überlegen gelernt hatte, er war ein Stürmer, der den Mut hatte, seiner Ungeduld und seinem Verlangen mehr zu vertrauen als seinen Erfahrungen und seiner Klugheit. Er würde nicht bis Silvester warten, um Fanny das zu fragen, was er sich vom ersten Moment an selbst gefragt hatte.
»Wo bist du mit deinen Gedanken?«, fragte Fanny. »Du siehst aus wie der Bub, der sich im Wald verirrt hat und ganz laut schreit, damit keiner merkt, dass er Angst hat. Übrigens, dass es dich zum Bahnhof gezogen hat und warum, habe ich die ganze Zeit gewusst. Doch ich wollte dir den Spaß nicht verderben. Du großer Gott, schau doch mal. Beziehungsweise hör genau
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