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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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mit der Bemerkung, sie hätte »die ganze Sache doch ziemlich albern« gefunden. »So eine Art von Sirup für die Ohren«, bemängelte sie.
    »Und ich habe gedacht, du lachst dich kaputt.«
    »Ich habe mich noch nie in meinem Leben kaputtgelacht. Findest du das schlimm?«
    »Nein, wunderbar. Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich kaputtlachen. Bei denen komme ich mir immer wie ein mieser, humorloser Spielverderber vor.«
    »Mir geht’s genauso«, erzählte Fanny. »Wahrscheinlich habe ich mich deshalb in der Schule so schwergetan. Mir ist einfach nicht rechtzeitig aufgegangen, was es überhaupt zu lachen gab, wenn die anderen lachten. Ein Mädchen, das an sich ganz nett war und mich bestimmt nicht kränken wollte, hat mich einmal gefragt, ob alle Juden keinen Humor haben.«
    »Hoffentlich hast du ihr klarmachen können, dass es die Leute mit solchen Vorurteilen sind, die uns das Lachen ausgetrieben haben.«
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass mir so was Gescheites je einfallen würde.«
    Sie beschlossen, was zwar den Heimweg – aber auch die Freude der Zweisamkeit – um mindestens eine Dreiviertelstunde verlängern würde, noch zum Hauptbahnhof zu gehen. »Für mich haben Bahnhöfe immer einen besonderen Reiz«, erklärte Don Juan. »Außerdem wartet dort eine kleine Überraschung auf dich. Hoffentlich jedenfalls. Bisher habe ich nur davon gelesen.«
    »Was denn? Ich nehme alles.«
    »Abwarten, Madame. ›Wer warten kann, bekommt guten Wind‹, sagt meine Mutter immer.«
    »Deine Mutter würde mir gefallen. Schade, dass ich sie nie kennenlernen werde.«
    »Vielleicht kommt das schneller, als du denkst. ›Man soll nie nie sagen.‹«
    »Sag nur, deine Eltern kommen auch nach Frankfurt!«
    »Man kann auch in die umgekehrte Richtung reisen, habe ich mir sagen lassen. Von Frankfurt nach Montevideo.«
    Er begriff, dass Fanny verstanden hatte, und er war gerührt, als er sah, wie schlecht es ihr gelang, zu verbergen, dass sie im Bilde war. Ihre Hand, seit zehn Minuten in seiner Manteltasche, denn aus der lauen Brise war ein eisiger Wind geworden, verkrampfte sich. Es tat nicht gut, sich zu verlieben und Zukunft zu planen, wenn man eine Rückfahrkarte ans andere Ende der Welt in der Tasche hatte. Eine Zeitlang liefen sie schweigend nebeneinander her; sie hörten einander atmen und wussten sich nicht gegen Gedanken zu wehren, die dieselbe Sackgasse ansteuerten.
    »Schön ist’s hier«, murmelte er.
    »Das finde ich auch«, sagte sie.
    Es gab viele neu eröffnete kleine Geschäfte. Zum großen Teil waren sie in Häusern untergebracht, von denen im besten Fall zwei Stockwerke standen. Die Läden hatten nichts mehr mit dem Luxus der Vorkriegszeit in den Geschäften auf der Kaiserstraße gemein, doch sie waren typisch für den Mut und die Energie in der aufbauwütigen Stadt. Anders als viele deutsche Städte, die sich Zeit für den Wiederaufbau nahmen, war Frankfurt darangegangen, die Kriegsnarben so schnell wie möglich zu beseitigen.
    In einem vergitterten kleinen Schaufenster mit auffallend gutem Licht glänzten Damen- und Herrenuhren mit breiten goldenen Armbändern, es gab Taschenuhren mit verzierten Sprungdeckeln aus der Kaiserzeit, Broschen mit Granat und Aquamarin, wie sie die Damen der Gesellschaft getragen hatten, pompöse silberne Hutnadeln, dreireihige Perlenketten mit kostbaren Verschlüssen, einen geflochtenen Goldring mit einem großen Rubin, der in ein Nest von Brillanten gesetzt war, Smaragdohrringe und Krawattennadeln, die noch in ihren ursprünglichen Samtkästchen lagen. Ein Juwelier aus Breslau war auszumachen, ein goldenes Feuerzeug stammte aus einem Geschäft in Königsberg. Unübersehbar war das Schild »Pfandleihanstalt«; ein Jahr nach der Währungsreform drängte es die Menschen nicht nach Gold, sie brauchten weder Perlen noch Krawattennadeln. Sie träumten vom Silvesterkarpfen und waren froh, dass sie für die Kreppel wieder die alten Rezepte aus der Schublade holen konnten. Die »friedensmäßigen«, hatte eine Zeitung geschrieben, und den Hausfrauen hatte sie empfohlen, den Silvesterpunsch und die Bowlen nicht mehr mit Sacharin zu süßen.
    »Was machen bloß die vielen jungen Frauen, die hier herumspazieren, als wüssten sie nicht, wo sie die Nacht verbringen sollen?«, überlegte Fanny. »Man könnte meinen, die hätte auch einer verpfändet.«
    »Gott segne deine Unschuld. Die haben sich selbst verpfändet. Sag nur, du warst noch nie abends am Hauptbahnhof.«
    »Wo denkst du hin? Mein

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