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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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gehen, noch nicht einmal etwas denken oder sich an etwas erinnern, ohne auf das zu stoßen, was die Nazis uns angetan haben. Auf die Dauer könnte ich das nicht ertragen. Wie schaffst du es, Fanny, in einem Land zu leben, in dem schon die Narben aufplatzen, wenn man von Mozart spricht? Wie schaffst du es, auch nur eine Minute glücklich zu sein?«
    »Weil für mich nur eins zählt. Dass mein Vater hier lebt. Und meine Großmutter, dass ich täglich Clara, Erwin, Claudette und Ora sehen kann. Und vergiss Anna und Hans nicht, ohne die ich überhaupt nicht leben würde, denn ich war ja, ehe Anna mich aus der Kolonne gezogen hat, auf dem direkten Weg in den Tod. Und jetzt ist Josepha wieder da. Bei der hat meine Mutter auf dem Schoß gesessen. Sie ist ein Stück meiner Kindheit, als es auch für ein jüdisches Kind Kindheit gab. Ich kann mich von keinem mehr trennen. Ich habe für mein ganzes Leben genug von Trennungen.«
    Auf dem langen Weg zurück in die Rothschildallee redeten sie nur von dem, was sie sahen, und kein einziges Mal von dem, was sie fühlten. Bei einem kümmerlichen Weihnachtsbaum, der in der Habsburger Allee vor einem Trümmerhaus stand und mit Lametta, Kugeln und weißen Papierstreifen geschmückt war, die dem Regen nicht widerstanden hatten, erzählte Fanny, von der Gemüsefrau hätte sie erfahren, in dem Haus wäre eine gesamte Familie bei einem Luftangriff umgekommen. Don Juan nickte, doch seine Gedanken waren weder beim Baum noch bei der Tragödie, von der er soeben erfahren hatte. Er spürte nur die Feuersbrunst, in der seine Hoffnungen und die Leichtigkeit der Jugend soeben verglühten.
    »Nicht wahr, ich habe dich vorhin gekränkt«, schwante der Ahnungsvollen. »Du bist plötzlich so ganz anders. So still. Was immer es war, ich hab’s nicht so gemeint.«
    »Du hast mich nicht gekränkt, Fanny, du hast mir nur reinen Wein eingeschenkt. Du hast den stolzen Don Juan davor bewahrt, sich zu einem lächerlichen Don Quichotte zu machen. Vielleicht gilt das bei uns schlauen Juden, die ja Meister im Hoffen sind, als eine Wohltat, die der Reiche dem Armen erweist.«
    »Von dem zweiten Don habe ich noch nie gehört, aber ich glaube trotzdem, ich weiß, was du meinst.«
    Er drückte sie so lange und fest an sich, bis ihre Herzen im gleichen Takt schlugen. Erst kehrte sein Optimismus zu ihm zurück, dann die Zuversicht, dass ein Vater, der seine Tochter liebte wie Fritz Feuereisen, spüren würde, wann es an der Zeit war, sie freizugeben. Er küsste Fanny so innig, wie er noch keine Frau geküsst hatte, es verlangte ihn so sehr nach ihr, dass sein Verlangen zum Schmerz wurde. Als der Nebel sich lichtete, war sein Kopf verbrannt, aber seine Arme stark genug, um, wie Atlas, die Welt auf seinen Schultern zu tragen. Der Mann der Liebe sah, dass der Himmel sich öffnete. Er hörte die Engel jubeln. Gott schickte sie aus, damit sie den Hochzeitsbaldachin mit Rosen schmückten und die Weinkannen füllten.
    »In Montevideo gibt’s die schönsten Rosen auf der Welt.«
    »Wie kommst du denn darauf? Rosen im Winter.«
    »Weil mein Herz soeben übergelaufen ist. Ich kann nicht mehr warten. Ich muss dich fragen. Jetzt. Auf der Stelle, vor diesem erbärmlichen Weihnachtsbaum mit der traurigen Geschichte. Willst du mich heiraten, Fanny?«
    Sie sagte nicht Nein, und sie sagte nicht Ja. Sie schwankte, obwohl er sie mit Händen aus Eisen hielt und einen Körper aus Liebesglut an sie drückte. Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie senkte ihren Kopf wie eine, die Buße zu tun hat und nicht weiß, wie. »Ich hab’s gewusst«, murmelte sie, »die ganze Zeit habe ich es kommen sehen. Ich kann dich nicht heiraten, Don Juan, obwohl ich weiß, dass ich nach dir nie wieder einen Mann lieben werde.«
    »Aber warum? Habe ich dich geängstigt?«
    »Ich habe jahrelang Gott angefleht, dass er meinen Vater überleben lässt. Ich habe ihm versprochen, ihn nie mehr in meinem Leben mit irgendeinem Wunsch zu belästigen, wenn er mir nur den Vater lässt. Und weißt du, was er gemacht hat? Er hat mir auch meine Großmutter wiedergegeben. Als Zugabe. Wie soll ich da fortkönnen? Wie je glücklich werden, wenn ich von ihnen gehe? Wenn einer versuchen würde, mich aus Frankfurt fortzubringen, würde ich auf der Stelle sterben.«
    »Wir schaffen das, Fanny. Keiner wird dem anderen ein Leid antun. Wir halten uns fest, solange wir dürfen, wir lieben uns, solange wir können. Aber wenn es an der Zeit ist, vergessen wir, was war. Beim Abschied tun

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