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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Vater würde den Polizeipräsidenten persönlich bemühen, wenn er mich nachts am Bahnhof wüsste. Der lässt mich ja noch nicht mal zum Wasserhäuschen laufen, wenn ihm die Zigaretten ausgehen.«
    Obgleich sich Don Juan gegen die Vorstellung wehrte, Amor könnte seine schnelle Entscheidung bereuen und seine Zauberpfeile zurückfordern, stellte er sich die Frage, ob ein zu großer Altersunterschied zwischen zwei Liebenden wohl den gleichen Effekt haben könnte wie bei den zwei Königskindern, die nicht hatten zueinanderfinden können, das zu tiefe Wasser. »Nanu«, staunte er. »Warum hat mich denn keiner gewarnt? Hier geht’s ja zu wie auf der Reeperbahn.«
    »Aber ohne Hans Albers«, kicherte Fanny.
    Es gab sehr viel mehr Kneipen als irgendwo sonst in der Stadt. Genau wie die neu eröffneten Geschäfte waren sie in Häusern untergebracht, die keine Dächer und schwarze, gerissene Mauern hatten. Fast alle Lokale hatten Namen, die auf amerikanische Soldaten abzielten. Sie hießen »Old Heidelberg«, »Bavaria«, »Rheingold« und »Little America«, die Türen standen offen, und die dröhnende Musik war noch auf der anderen Straßenseite zu hören. Es stank nach Alkohol, Nikotin und Erbrochenem. Obwohl es erst neun Uhr war, torkelten bereits viele der Gäste. Es waren blutjunge GIs mit Bürstenhaarschnitt, die Mütze unter die Achselklappen der Jacken geklemmt, die Gesichter feuerrot und die Augen glasig. An fast jeden der schwankenden Dollarmänner klammerte sich eines der strohblonden, willfährigen Fräuleins, um derentwillen die Sieger den Feind so schnell hatten lieben gelernt.
    Die Fräuleins trugen kurze eng anliegende Pullover mit Volants und Rüschen, figurbetonte Röcke, die ihnen nur sehr kurze Schritte gestatteten, und Schuhe mit so hohen Absätzen, dass die meisten humpelten. Sie hatten blutrot geschminkte Lippen und sahen trotz Rouge und nachgezogenen Augenbrauen erschöpft und unzufrieden aus. Die Nähte an den hoch begehrten Nylonstrümpfen, die ihnen die braven Bürgersfrauen immer noch neideten, saßen schief.
    »Hallo, was ist denn das?«, wunderte sich Don Juan. Er zeigte auf ein Schild mit der Aufschrift Friedrich-Ebert-Straße. »In meiner goldenen Jugendzeit hieß die noch Kaiserstraße.«
    »In Wirklichkeit heißt sie immer noch so«, klärte ihn Fanny auf. »Aber die Amis haben auf Friedrich Ebert bestanden. Von wegen der Demokratie. Mein Vater sagt immer, unsere amerikanischen Befreier verwechseln den Kaiser mit Hitler. Die Frankfurter waren furchtbar empört über die Umbenennung, aber jetzt scheren sie sich einfach nicht mehr darum und sagen wieder Kaiserstraße.«
    »Recht haben sie.«
    »Der Trambahnschaffner in der Linie zehn ruft immer Kaiser-Friedrich-Ebert-Straße aus. Das gibt immer das große Lachen. Da lache sogar ich mit.«
    »Das freut mich. Das hat Stil, vor allem ist es ein Beweis, dass die alte Frankfurter Pfiffigkeit noch lebt. Das muss ich sofort nach Hause schreiben. Das wird meinem Vater gefallen. Der ist wie Friedrich Stoltze, den er immer noch am laufenden Meter rezitieren kann. Meinem Papa will es nämlich nicht in den Kopf, dass es Menschen gibt, die nicht aus Frankfurt sind. Früher konnte ich das auf Frankforterisch sagen, aber mir kam der Lokalpatriotismus abhanden, als ich mich drei Monate lang jede Woche bei der Polizei melden musste. Das war unmittelbar vor der Auswanderung.«
    Die Straße mit der Doppelbenennung war weihnachtlich geschmückt. An niedrigen Tannenbäumen baumelten geschnitzte Holzfiguren – rote Pferdchen mit Wattemähne, Hirsche mit Schlitten und winzige Engel mit Trompeten. Gelegentlich gab es die silbernen und farbigen Christbaumkugeln der Vorkriegsjahre. »Ich kann mich noch erinnern«, sagte Don Juan, »dass unsere Gertrud mit meiner Schwester und mir jedes Jahr auf den Weihnachtsmarkt am Römerberg gegangen ist. Ich habe mir so schrecklich eine Christbaumkugel gewünscht, aber die gute Gertrud hat sich nie getraut. ›Der Papa schimpft‹, hat sie immer gesagt. ›Der will das nicht.‹«
    »Bei mir«, wusste Fanny, »war’s genauso. Keine Christbaumkugeln zu bekommen scheint das Problem von vielen jüdischen Kindern zu sein. Ich bin mal gespannt, ob es bei unserer Ora auch so läuft.«
    In den Fenstern der Häuser, die dem Bombenkrieg entkommen waren und die, wenn man genau hinsah, sogar etwas vom Glanz der hoffnungsvollen Gründerjahre ahnen ließen, brannten Kerzen. »Wieso denn Kerzen am dritten Weihnachtstag? Ich kann mich nicht

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