Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
hin, wenn die Pfannenfrau den Preis sagt. Das Zeug kostet ein Vermögen. Dafür muss eine Oma lange stricken. So viel Geld kann man doch nicht einfach ausgeben, um sich nach dem Abendessen zu überfressen. Josephas Reibekuchen waren ja schon ein Stück vom Schlaraffenland.«
    »Das lass mal meine Sorge sein. Ich bin der Millionär aus Montevideo. Verrat das aber keinem. Wir wissen ja beide, wohin Neid die Leute treibt.«
    »Ich habe absolut keinen Hunger. Noch nicht mal Appetit. Ich bin nur satt, zufrieden und glücklich.«
    »Isst du denn immer nur, wenn du Hunger hast?«
    »Wann denn sonst?«, wunderte sich Fanny. »Wenn du so gehungert hättest wie wir, würdest du das nicht fragen.«
    »Vergiss den Hunger, Fanny. Vergiss alles. Nur nicht mich. ›Carpe diem‹, sagen wir Lateiner. Pflücke den Tag. Das hat mir schon ganz früh imponiert, wenn ich’s auch immer noch nicht richtig hinbekomme.«
    »Hunger kann man nicht vergessen. Und im Vergessen bin ich eine ganz große Niete. Ich liebe dich«, flüsterte Fanny, doch es war die Currywurst, die sie beim Sprechen ansah, diese mit dem Duft der Freiheit gewürzte Sensation, die am Beginn der satten Tage stand, diese exotische, alle Sinne nährende Speise aus dem Olymp der neuen Götter. »Ich glaube, ich bin besoffen«, sagte sie, »besoffen vor Glück. Gibt’s das überhaupt?«
    »Und ob! Wann hast du’s gemerkt?«
    »So schnell, dass ich’s nicht glauben wollte.«
    Fanny und Don Juan, der sich ein gebranntes Kind wähnte, das nichts mehr mit der Liebe im Sinn hatte, schauten einander so tief in die Augen, wie es Romeo und Julia in der Nacht des Schicksals getan hatten, doch sie spürten keine Furcht. Der Gott der Liebe, dieser pfiffige Schalk mit der Lust an Verwirrung, Düpierung, Eifersucht und Leid war nicht mehr der gleiche wie zu Shakespeares Zeiten. Amor trennte die Liebenden nicht nur deshalb, weil ihm nach Abwechslung und Kurzweil zumute war. Er schickte keine Lerche mehr aus, die den Abschied verkündete. Romeo und Julia beugten sich nicht mehr dem Diktat von Eltern, die der Familienehre wegen die Streitaxt schwangen, sie bestellten das Aufgebot, die Trauringe, Kissen, Kaffeemühle und Käseglocke.
    Für Don Juan und Fanny, die einander genug waren, tat sich das goldene Tor von jenem Paradies auf, zu dem nur Liebende Zutritt haben. Um dieser Liebe willen tauchten die farbigen Glühbirnen von »Walters Wurstbude« die Welt in ein rosa Licht, das ihnen ewig leuchten würde. Einen Herzschlag lang wurde der alte Menschheitstraum vom beständigen Glück beseligende Wirklichkeit.
    »Die Wolken haben silberne Kronen«, flüsterte Fanny.
    »Die Kronen habe ich extra für dich bestellt.«
    »Kannst du denn alles?«
    »Alles, alles«, schwor Don Juan. »Nur nicht lügen.«
    Ein Trambahnfahrer riss mehrere Male an seiner Klingel. Ein hinkender Bettler mit einem Karton, auf dem »Property of the US Army« stand, erreichte im letztmöglichen Moment das rettende Lebensufer. Als er seinen Kopf schüttelte, flog eine alte Wehrmachtsmütze auf die Gleise. »Du lebensmüder Depp«, brüllte der Schaffner von der Plattform herunter. »Wegen solcher Leute wie dir hat Deutschland den Krieg verloren.«
    Die beiden Kriegsversehrten hoben ihre Krücken auf. Der Zeitungsverkäufer stand nun unter dem Dach des Bahnhofs. Er blickte verlangend zum Wurststand, holte ein in Zeitungspapier eingepacktes Brot heraus und fluchte »Scheißmargarine«. Die meisten Zeitungen waren verkauft. Der Chef von »Walters Wurstbude« stellte zwei Currywürste auf seine Theke. Hätten seine zufrieden kauenden, Bier genießenden Kunden die Angewohnheit gehabt, über den Rand ihrer Papptellerchen zu schauen, hätten sie eine blau tätowierte Nummer auf seinem Unterarm sehen können.
    »Ich glaube«, sagte Don Juan so leise, wie es ihm möglich war, »das sind die Auschwitz-Nummern.«
    »Sind sie«, bestätigte Fanny.
    »Und da kannst du so ruhig bleiben, wenn du so was siehst. Ich habe das Gefühl, mein ganzer Körper zerreißt.«
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft ich diese Auschwitz-Nummern in meinem Leben gesehen habe. Als wir Großmutter wiederfanden, hat sie im jüdischen Altersheim gewohnt. Die Leute, die in Theresienstadt gewesen sind, hatten keine Nummern, aber bei den meisten, die zu Besuch kamen, konnte man sie sehen. Es hat ja nicht jeder das Glück gehabt, nach Theresienstadt zu kommen und dort bleiben zu können.«
    »In diesem Land kann man nichts sagen und nirgendwohin

Weitere Kostenlose Bücher