Neubeginn in Virgin River
der Bar lief Jack unruhig hin und her. Er fühlte sich völlig hilflos. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie niederschmetternd und schmerzhaft der Verlust eines geliebten Menschen war. Und noch besser wusste er, wie schwierig es war, darüber hinwegzukommen. Es tat ihm weh, dass Mel gegangen war, ohne ihn wenigstens versuchen zu lassen, sie zu trösten.
Frustriert öffnete er die Tür, um nach ihr zu sehen. Da stand der BMW, direkt vor der Veranda. Aber sie saß nicht darin. Er wollte gerade zu ihrem Wagen laufen, als er es hörte. Ihr Schluchzen. Ihr Klagen. Sehen konnte er sie nicht. Er trat auf die Veranda hinaus und ging die Stufen hinunter in den Regen hinaus. Und schließlich entdeckte er sie – wie sie sich an einen Baum klammerte und der Regen sie durchnässte.
Er lief zu ihr hin und umarmte sie von hinten. Ihr Rücken bebte unter dem Schluchzen, ihre linke Wange hatte sie an die raue Baumrinde gepresst. Ihre qualvollen Schreie brachen ihm das Herz; er konnte sie unmöglich gehen lassen, er konnte sie jetzt unmöglich allein lassen. Als sie den Boden unter den Füßen zu verlieren schien, griff er ihr unter die Arme und hielt sie aufrecht, während der Regen weiter auf sie niederprasselte.
„Oh Gott, oh Gott, oh Gott“, schluchzte sie. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott!“
„Gut so“, flüsterte er. „Lass dich gehen, lass es raus.“
„Warum, warum, warum?“, schrie sie in die Nacht. Ihr Atem ging stoßweise, ihr ganzer Körper zuckte und bebte. „Oh Gott, warum?“
„Lass alles raus“, sagte er leise und legte seine Lippen an ihr nasses Haar.
Sie öffnete den Mund, legte den Kopf nach hinten gegen ihn und schrie aus voller Lunge. Jack hoffte, ihre gellenden Schreie würden von niemand anderem gehört. Denn keiner sollte sie dabei stören und ihre Entladung unterbrechen. Er war für sie da. Allmählich ließ das Schreien nach und verwandelte sich in ein heftiges Schluchzen, bis Mel am Ende stammelte: „Oh Gott, ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht.“
„Es ist schon in Ordnung, Liebes“, flüsterte er in ihr Haar. „Ich verstehe dich. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.“
Flüchtig schoss ihm durch den Kopf, dass er noch nie in seinem Leben ein Gefühl aus sich herausgelassen hatte, das dem hier gleichkam. Die Intensität, mit der Mel ihren Schmerz auslebte, fand Jack fast schon phänomenal. Und er? Wie ging er mit seinem Schmerz um? Indem er immer wieder ins Grübeln verfiel, sich selbst bemitleidete und sich betrank, konnte er ihn jedenfalls nicht bewältigen. Und, verglichen mit Mel, hatte er doch solche herzzerreißenden Qualen nicht aushalten müssen. Seine Augen brannten. Er küsste Mel auf die Wange. „Weiter so“, ermutigte er sie sanft. „Lass es raus. Es ist in Ordnung.“
Es dauerte lange, bis sie sich etwas beruhigt hatte und nur noch leise vor sich hin weinte. Jack hatte Geduld. Er wusste, wie erleichternd es für Mel war, ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Beide waren sie nass bis auf die Haut, als Mel aufhörte zu weinen, sich vom Baum abstieß und sich zu ihm umdrehte. Mit schmerzverzerrter Miene blickte sie nach oben in sein regennasses Gesicht. „Ich habe ihn so sehr geliebt.“
Er streichelte ihre nasse Wange, unfähig, Tränen und Regentropfen zu unterscheiden. „Ich weiß“, sagte er.
„Es ist so ungerecht.“
„Das ist es.“
„Wie soll ich damit leben können?“
„Ich weiß es nicht“, sagte er aufrichtig.
Sie ließ den Kopf an seine Brust sinken. „Gott, es hat so wehgetan.“
„Ich weiß“, wiederholte er. Dann hob er sie hoch und trug sie zurück in die Bar, wo er mit dem Fuß die Tür hinter sich zustieß. Auf dem Weg durch die Küche in seine Wohnung hatte sie die Arme um seinen Hals gelegt. Im Wohnzimmer setzte er sie auf dem großen Sessel ab. Mit hängendem Kopf und tropfenden Haaren, die Hände zwischen ihren Knien, blieb sie dort zitternd sitzen. Er suchte ein sauberes, trockenes T-Shirt und Handtücher, kam zurück und kniete sich vor ihr hin. „Komm, Mel. Lass dich abtrocknen.“
Sie hob den Kopf und sah ihn aus unendlich traurigen, teilnahmslosen Augen an. Sie hatte sich völlig verausgabt. Und ihre Lippen waren blau vor Kälte.
Er zog ihr die völlig durchnässte Jacke aus und warf sie auf den Boden. Dann ihre Bluse. Er zog Mel aus, wie man ein Kind auszieht, und sie wehrte sich nicht. Dann wickelte er sie in ein großes Badetuch, griff darunter und streifte ihr den BH ab, ohne sie zu entblößen.
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