Neue Leben: Roman (German Edition)
Finanzen nennt. Piatkowski hatte ihm offensichtlich völlig den Kopf verdreht. Mit einem Schnipp könnten wir den doch erledigen, sagte der Baron, wir müßten nur anrufen und mit einem Artikel drohen, das reiche schon, wir brauchten nicht mal Platz für ihn zu verschwenden. Und ob ich nicht gerade den Beweis erhalten habe, wie schwer es ihm gemacht werde, ein paar Zeilen an die Öffentlichkeit zu bringen, während ich schreiben könne, was und soviel ich wolle. Er sehe es ungern, so der Baron, wenn ich meine Zeit mit Leuten wie Piatsoundso vergeude, davon abgesehen, daß es nicht gerade ritterlich sei, auf einen Besiegten einzuschlagen.
»Gerade jetzt, wo es darauf ankommt«, sagte er, »müssen Siewissen, was Sie tun!« Er sagte das eindringlich und so leise, daß selbst Ilona, die bis eben noch in der Küche zu hören gewesen war, es nicht verstanden hätte. Dann kam Felix, Georgs ältester Sohn, herein, er hatte den Wolf ausgeführt, und der Baron fragte mich, ob ich ihn auf einem Spaziergang durch die Stadt begleiten wolle. Er sei bisher immer nur von Termin zu Termin gehetzt, jetzt möchte er sich einfach mal treiben lassen. Ich mußte es ihm abschlagen, den Wagen aber können wir noch eine Weile behalten.
Dein E.
Mittwoch, 21. 3. 90
Liebe Nicoletta!
Verheißungsvoller als der Bamberger Poststempel sind die beiden Ausrufezeichen am Rand und die Anstriche, in denen ich Ihre Handschrift zu erkennen glaube. 110
Barrista ist bereits wieder im Land. Er hat den Streit mit Ihnen zugegeben. Natürlich verneinte er zunächst meine Frage und lehnte es ab, von »Streit« zu sprechen, gestand dann aber ein, er habe nicht eingesehen, warum er weniger Recht haben solle, sich in der Redaktion aufzuhalten, als Sie. Wenn er nicht mehr erwünscht sei, möge ich ihn das wissen lassen. Schließlich beichtete er, etwas »trotzig« reagiert zu haben, versicherte zweimal, Ihnen nichts vorzuwerfen, und sprach überschwenglich von Ihren Arbeiten für den »Stern«, von denen ich leider keineAhnung hatte. Sollte eine Aussöhnung nötig sein, wolle er den ersten Schritt gehen.
Vielleicht dächten Sie, so Barrista weiter, heute über einiges anders. Ich fragte nach. Im Westen, dozierte er, seien wesentlich mehr Leute über den Ausgang der Wahl enttäuscht als hier. Ihn, Barrista, interessiere nicht diese oder jene Politik, sondern die Demokratie. Der Staat stehe seinen Bürgern sowieso mehr im Weg, als ihnen ihr Fortkommen zu erleichtern.
Mit den Artikeln konfrontiert, hob er die Arme und ließ sie erschöpft wieder sinken. Genau das habe er gemeint, als er sagte, über einiges in Ruhe sprechen zu wollen. Barrista hatte den Wunsch geäußert, zukünftig mehr miteinander zu reden, um möglichst viele Ideen auf den Tisch zu bekommen, was aber wohl doch etwas anderes ist. […]
Seiner Collegemappe entnahm er einen Hefter, der viel zu klein für die hervorquellenden Papiere war. Obenauf lag ein schwer leserliches Anschreiben – ich entzifferte kaum meinen Namen –, in dem er mir anheimstellte, wer von diesem Dossier Kenntnis erhalten solle. Das meiste sind Kopien aus Zeitungen und die Dokumente der Verteidigung sowie das Urteil. […]
Während ich blätterte – Ihr Material ist vollständig enthalten –, redete er auf mich ein. Man komme ja nicht herein und sage: Hello, Jungs, vor zwei Jahren hat mal der Staatsanwalt bei mir geklingelt.
Ich werde selbst noch sehen, sobald ich geschäftliche Verantwortung zu übernehmen hätte, daß man immer mit einem Bein im Gefängnis stehe, weil man Entscheidungen zu fällen habe, die durch unvorhersehbare Entwicklungen, durch fremdes Verschulden oder einfach durch Pech in eine falsche Richtung gelenkt werden könnten. Wie oft habe er die Verantwortung für etwas übernehmen müssen, das gegen seinen Ratschlag, gegen seine Stimme, gegen seinen ausdrücklichen Wunsch geschehen sei.
Er bot mir an, auf jede Frage Rede und Antwort zu stehen, obwohl er keinen Grund sehe, sich vor uns rechtfertigen zu müssen.
Er legte mir ans Herz, das Urteil des Prozesses höher zu bewerten als die Anschuldigungen. Er gelte nicht als vorbestraft.
Sein Gerede hat mich erst recht argwöhnisch gemacht. Doch das ist nur eine Ahnung, ein Gefühl. Helfen Sie mir, ihm die richtigen Fragen zu stellen?
Hier nun die Fortsetzung meines Versuches, obwohl ich nicht weiß, ob Sie ein weiteres Kapitel überhaupt hören 111 wollen.
Ich grüße Sie herzlichst, Ihr Enrico
Während der Schulwochen war der
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