Neue Leben: Roman (German Edition)
verabredet und pünktlich. Georg und Jörg waren zum Korrekturlesen in Leipzig. Ich hoffte, diese Auskunft würde genügen. »Nei-ei-ein«, meckerte er los, diesmal bestehe er darauf, mit einem Verantwortlichen zu sprechen, auch wenn hier wohl nur Leute Gehör fänden, die mit so einem schwarzen Ding da vorfahren könnten. Er meinte den LeBaron. Aber schon das Gähnen des Wolfes und der Anblick von Astrids blindem Auge reichten, ihn zu verunsichern.
»Pohlmann, Meuselwitz, Thüringen«, stellte der Herr sich vor, begrüßte erst mich, dann den Baron mit Handschlag, woraufIlona, immer noch kauend, aufsprang und in die Küche lief.
Pohlmann war kein Heimatforscher, jedenfalls keiner mit den üblichen Kaiserphotos, wie ich befürchtet hatte. Als wir im Nebenraum allein waren, wirkte er ruhiger und freundlicher.
»Wissen Sie«, sagte er und nannte meinen Namen, »auf diesen Augenblick habe ich vierzig Jahre gewartet.« Obenauf lag ein vergrößertes Paßphoto. »Siegfried Flack«, sagte er, »am 27. März 1950 verhaftet, mein Deutschlehrer in der neunten Klasse.« Pohlmann nannte Namen von Lehrern und Schülern, die meisten von der Karl-Marx-Oberschule, die Flugblätter verteilt und ein großes F (für Freiheit) an Hauswände gemalt hatten, was sie alle das Leben gekostet hat, bis auf wenige, denen die Flucht in den Westen gelang. Einer der Köpfe der Gruppe, ein Pfarrerssohn, hatte mehrmals Flugblätter aus Westberlin eingeschmuggelt. Irgendwann haben sie ihn gegriffen. Seine Eltern erfuhren vom Roten Kreuz erst 1959, daß er bereits 1951 in Moskau in der Lubjanka »verstorben« war. Pohlmann sprach betont ruhig, und manchmal klangen seine Sätze wie auswendig gelernt. Als er mir den Hefter übergab, stand er auf: »Wir müssen das Schweigen brechen! Die Wahrheit muß endlich ans Licht!« Ich dachte, er verabschiede sich damit, und dankte ihm. Pohlmann jedoch setzte sich wieder und sah mich an. Ich blätterte in seinem Hefter. Jedesmal schreckte ich zurück, wenn seine Hand zwischen die Seiten fuhr. Wieder und wieder mußte ich zurückschlagen und eine neue Erklärung über mich ergehen lassen, obwohl die letzte längst nicht beendet war. Und dabei vernahm ich aus der Redaktionsstube den Singsang des Barons.
Was mir Pohlmann da anvertraute, waren Briefe und Gesprächsnotizen, minutiös datiert und mit Anmerkungen versehen. Ich hatte gefragt, was er damit vorhabe, und er hatte gerade »Publizieren!« gerufen, da platzte Ilona herein. Kreidebleichverharrte sie auf der Schwelle und starrte mich an, als wäre ich ein Gespenst. »Also hier bist du«, sagte sie matt und zog sich wieder zurück.
Schon häufig hat mich Ilona vor lästigen Gästen gerettet. Aber diesmal mußte wirklich etwas passiert sein. Auch Pohlmann war von ihrem Anblick verstört.
Ich bat ihn zu warten und ging hinüber in die Redaktionsstube. Der Baron lehnte am Tisch und wedelte mit einem Fächer aus Hundert-D-Mark-Scheinen. »Was Sie wissen müssen, steht hier«, sagte er und legte das Geld, als spielte er einen Grand ouvert, auf den Tisch. Der Wolf schüttelte sich, das Halsband klapperte. »Die haben keine Quittung verlangt«, sagte der Baron, zog mit dem Finger das rechte Unterlid herab und war verschwunden.
Es waren zwölf, zwölf D-Mark-Hunderter! Ich las nur » NEUERÖFFNUNG «, links und rechts davon hatte jemand ziemlich gekonnt zwei Hände mit ausgestreckten Zeigefingern gezeichnet.
Um Aufschluß über das Geschehen zu erhalten, betrat ich den kleinen Küchenverschlag. Ilona zuckte zusammen. Ich berührte ihre Schulter, sie sank auf den Schemel nieder.
Ich hockte mich neben sie. Der Ilonaduft, ein Gemisch aus Parfüm und Schweiß, der sich sonst erst mittags in der Redaktion breitmacht, stach mir in die Nase.
»Ich schäme mich so«, flüsterte sie. »Ich schäme mich so!« Erst als ich ihre kalten Hände zwischen meine nahm und die Fragerei seinließ, begann Ilona zu reden, allerdings so wirr, daß ich sie immer wieder unterbrechen mußte.
Sie habe geglaubt, allein in der Redaktion zu sein, abgesehen von Pohlmann und mir natürlich. Sie habe das Geschirr abgeräumt, die leere Pfannkuchenschüssel wieder gefüllt und sich an den Abwasch gemacht. Als es klopfte, habe sie öffnen wollen,doch zu ihrer Überraschung meine Stimme gehört – jedenfalls habe sie das geglaubt. Ich habe ihr leid getan, weil mal wieder ich es gewesen sei, der die Leute in Empfang habe nehmen müssen.
Dann aber, sie beteuerte, nie zu lauschen, habe sie ihre
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