Neue Schuhe zum Dessert
lächelte bereitwillig, aber ich war zutiefst verunsichert von seiner Jungenhaftigkeit, seinem fehlenden Schwulsein und, das Schlimmste, seiner kühlen Einschätzung meines Erscheinungsbildes.
»Heben Sie das Kinn.« Er schmunzelte hinter seiner Kamera und sagte: »Nicht nur das eine.« Und dann: »Entspannen sie sich! Sie sehen aus, als stünden Sie vor einem Erschießungskommando.«
Er wechselte dauernd die Objektive und prüfte die Lichtmesser, sodass »ein paar Sicherheitsfotos« so lange dauerten wie der Aufbau der Ausrüstung, dann musste ich einen viertelstündigen Marsch auf mich nehmen, das Stativ über der Schulter, und Konversation mit ihm machen. In der Nacht zuvor hatte ich nicht viel geschlafen, und Konversation zu machen ist ohnehin nicht meine starke Seite.
»Haben Sie viele Autoren fotografiert?«
»O ja, haufenweise. Christopher Bloind. Miranda England. Also, die ist überwältigend. Ein Traum vor der Linse. Man könnte gar kein schlechtes Foto von ihr machen. Sie haben mich nach Monte Carlo eingeflogen, um die zu fotografieren. Erster Klasse nach Nizza, dann weiter mit dem Hubschrauber.« Das musste er natürlich genau in dem Moment erzählen, als wir über die mit Graffiti beschmierte Eisenbahnbrücke gingen, und er amüsierte sich prächtig angesichts des Kontrasts. »Von einem Extrem ins andere, was, Lily?«
Als wir auf Hampstead Heath ankamen, wurden seine Augen zu schmalen Schlitzen, dann leuchteten sie auf. »Okay, am besten, Sie klettern mal auf den Baum.«
Ich wartete, dass er lachen würde. Denn das war doch ein Witz, oder?
Aber nein.
Er machte eine Räuberleiter, damit ich meinen Fuß hinein stellen und mich zu einem Ast hochschwingen konnte, wo ich, zwei Meter über dem Boden, den Stamm umarmen sollte. Und dabei lächeln.
»Jetzt gucken Sie zu mir runter, ja, wickeln Sie sich eine Strähne um den Finger, lecken Sie sich über die Lippen.«
Wenn ich ein Doppelkinn hatte, als ich auf dem Sofa auf einer Höhe mit der Kamera saß, wie würde ich jetzt aussehen, wenn er mich von unten fotografierte? Wie ein Truthahn. Eine Kröte.
»Denken Sie an Sex, sehen Sie sexy aus. SEXY.«
»Lauter«, murmelte ich. »Ich glaube, die Leute in Kasachstan haben Sie nicht gehört.«
»Sexy sollen Sie aussehen«, brüllte er und drückte immer wieder auf den Auslöser. »Sexy, Lily.«
Eine Horde Schuljungen blieb stehen und machte sich über uns lustig.
»Jetzt was anderes, Lily, kommen Sie runter, jetzt lassen wir Sie an dem Ast da schaukeln.«
Ich kletterte runter und sah, dass meine neuen Stiefel verkratzt waren. Tränen stiegen mir in die Augen, aber ich konnte mich nicht beschweren, weil Lee schon wieder eine Räuberleiter machte, damit ich den Ast erreichen und daran schaukeln konnte wie ein Affe.
»… Blick zu mir und ein großes Lachen.« Lee gackerte wie ein Besessener, um mich zu ermutigen. »Kommen Sie, ein Lachen. So. Hahahahahahahah! Sie schaukeln an dem Ast, das Leben ist fantastisch, werfen Sie den Kopf zurück, lachen Sie. HAHAHAHAHAHAHAH!«
Meine Schultergelenke taten mir weh, meine Hände waren aufgeschürft und schmierig, mein Make-up verlief, meine neuen Stiefel waren zerkratzt, aber ich lachte gehorsam, lachte und lachte.
»AHAHAHAAAAAAH!«, machte er.
»AHAHAHAAAAAAH!«, kopierte ich ihn.
»AHAHAHAAAAAAH!«, machten die Schuljungen.
Als ich gerade dachte, dass es schlimmer nicht kommen könnte, fing es an zu tröpfeln. Einen Moment lang dachte ich, das sei eine gute Sache, weil wir jetzt nach Hause gehen könnten. Aber nichts da. »Regen?« Lee blickte zum Himmel hoch. »Gar nicht schlecht. Wild und romantisch. Wollen mal sehen, was können wir jetzt noch probieren?«
Ich sah, wie einer der Schuljungen eine SMS versandte. Ich hatte die schreckliche Ahnung, dass er Verstärkung herbeirief.
»Wir gehen mal den Hügel rauf«, sagte Lee. »Mal sehen, was dann passiert.«
Nass, sauer und mit Ausrüstung beladen trottete ich hinter ihm her den Hügel rauf und warf einen Blick zurück: Ich hoffte, die Schuljungen würden uns nicht folgen, aber sie kamen hinter uns her. Sie hielten einen angemessenen Abstand, und vielleicht war es meine Einbildung, aber ich glaubte, es seien mehr als vorher. Lee blieb bei einer Bank stehen. »Hier ist gut.«
Keuchend und schwitzend sank ich darauf nieder. Zum Glück durfte ich sitzen.
»Lily, ich möchte Sie stehend fotografieren.«
»Auf der Bank?«
»Na ja, nicht ganz.«
»Nicht ganz?«
Er schwieg. Gleich würde er etwas
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