Neue Schuhe zum Dessert
Fehler er gemacht habe; gewartet, dass diese Hölle endlich zu Ende sein würde.
Am Donnerstag rief ich ihn viermal an und bat ihn, nach Hause zu kommen, und jedes Mal sagte er dasselbe – dass es ihm Leid täte, aber dass er nicht zurückkäme. Dann dachte ich, vielleicht hatte ich ihn oft genug angerufen, und ein paar Tage ohne ein Zeichen von Mam und mir würden ihn zur Vernunft bringen. Eine Woche. Ich würde ihm eine Woche geben. Bis dahin musste er zurückkommen. Er musste, denn die Alternative war einfach zu schrecklich.
Am Donnerstag und Freitag ging ich nicht zur Arbeit. Ich konnte einfach nicht – ich war in riesiger Sorge um Mam. Aber ich arbeitete von ihrem Haus aus, erledigte Telefonate, verschickte Faxe und E-Mails und kümmerte mich um die Vorbereitungen für Davinias Hochzeit. Zwischendurch schaffte ich es sogar, ein paar E-Mails an Susan nach Seattle zu schicken, in denen ich ihr alles erzählte. Wir waren uns einig, dass Dads Jacke noch schlimmer hätte sein können. Sie hätte Fransen an den Ärmeln haben können.
Am Freitagmorgen kam Andrea zum Haus meiner Eltern, und wir gingen die Listen durch. Davinia Westports Hochzeitsvorbereitungen bestanden aus vielen, vielen Listen – Listen mit den Ankunftszeiten der Gäste, Listen mit den Namen der Fahrer, die sie abholen würden, Listen von den Häusern, wo die Gäste untergebracht wurden, Listen ihrer besonderen Wünsche und Anforderungen.
(Ich liebe Listen, und manchmal, wenn ich mit einem Projekt anfange, mache ich eine Liste der Dinge, die ich schon erledigt habe, einfach damit ich sie durchstreichen kann – »erledigt«.)
Dann die Zeitpläne. Eine genaue Aufstellung der Abläufe: der Aufbau des Zelts, die Ankunft der Satinballen, die Konstruktion des Holzfußbodens, die Installation der Beleuchtung und das Aufstellen der Heizgeräte. Wir kamen ganz gut voran, doch dann rief Davinia am Freitagnachmittag an und sagte, ihre Freunde Blue und Sienna hätten sich zerstritten und könnten nun nicht mehr am gleichen Tisch sitzen. Alle andere Arbeiten mussten für ein paar Stunden beseite gelegt werden, damit wir eine neue Sitzordnung aufstellen konnten – diese kleine Entzweiung hatte erdbebenartige Auswirkungen auf die Zusammenstellung aller Gäste, denn alle schienen miteinander geschlafen zu haben. Jede Verschiebung hatte verheerende Folgen: Sienna konnte nicht an Tisch 4 sitzen, weil Blues neue Flamme August da schon saß. Sie konnte nicht an Tisch 5 sitzen, weil ihr ehemaliger Geliebter Charlie da saß. An Tisch 6 saß Blues frühere Geliebte Lia, der er ursprünglich wegen Sienna den Laufpass gegeben hatte. An Tisch 7 … und so weiter. Und wenn wir versuchten, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen – und zum Beispiel August an einen anderen Tisch zu setzen – dann landete sie selbst gegenüber von jemandem, mit dem sie geschlafen und sich zerstritten hatte. Es war, als wollten wir die Rubiks-Cube-Meisterschaft gewinnen.
Alles wurde dadurch noch schlimmer, dass Andrea sich nicht voll konzentrieren konnte. Dauernd wanderte ihr Blick zu den Schokoriegeln, die überall herumlagen – auf den Fensterbänken, im Brotkasten, auf dem Kühlschrank. »Das ist ja wie in einem Süßigkeitenladen hier«, rief sie.
Weil Schokolade in meinem Leben überall und jederzeit verfügbar war, konnte ich gut darauf verzichten, aber seit Dienstag hatte sie sich als nützlich erwiesen, denn bedenklicher noch als die Tatsache, dass Mam ihren Lebenswillen verloren hatte, war die, dass ihr auch der Wille zu kochen abhanden gekommen war. Und da ich keine Ahnung vom Kochen habe, war es das Einfachste, statt richtiger Mahlzeiten Kekse und Schokolade zu essen.
Ich gab Andrea eine ganze Ladung von Riegeln in der Hoffnung, dass sie sich dann auf unsere Arbeit konzentrieren würde. »Konzentrier dich«, bedrängte ich sie. »Wenn nicht für mich, dann für Davinia.«
Man muss verstehen, dass Davinia Westport ein seltenes Geschöpf war. Sie war zwar vornehm, reich und schön, aber sie war trotzdem nett. (Abgesehen natürlich davon, dass sie darauf bestand, im kältesten Monat des Jahres in einem Zelt zu heiraten.) In den meisten Fällen ist der Auftraggeber nämlich der unangenehmste Aspekt an dem Projekt – schlimmer noch als ein Feuer in einem Hotelballsaal zwei Tage vor einem Ereignis und schlimmer als eine Salmonellenvergiftung der Gäste bei einem Fundraising-Essen, die bewirkt, dass sie alle bei der Verlosung zu kotzen anfangen und ins Krankenhaus
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