Neue Schuhe zum Dessert
Umschlag aufriss, lag ein enormer Scheck für die Tantiemen für Mimis Medizin drin – das Geld, das unser Haus gerettet hätte, wenn wir es letzten Dezember bekommen hätten.
Tränen schossen mir in die Augen. Wie anders unser Leben jetzt wäre. Aber ich trocknete meine Augen und gestand mir ein, dass es, in Anbetracht dessen, wie wir waren, nicht sehr anders ausgesehen hätte. Im Januar hätten wir mit regelmäßigen Zahlungen beginnen sollen, und regelmäßige Einkommen waren nie unsere Stärke gewesen.
Es war so seltsam, den Scheck zu bekommen, er gehörte so sehr zu einem anderen Teil meines Lebens, dass er wie eine Nachricht von einer längst erloschenen Milchstraße war. Dennoch, er war das »Zeichen«, das ich brauchte, er zeigte mir, dass ich eine Pause machen konnte, und ich rief Mum an, um ihr die gute Nachricht mitzuteilen.
»Wie lange möchtest du bleiben?«, fragte sie. Besorgt?
»Ewigkeiten«, sagte ich. »Mehrere Monate. Bevor du dich aufregst: ungefähr eine Woche. Ist das in Ordnung?«
»Ja.«
Ich fing an zu packen, und nach ein, zwei Schichten Unterwäsche in meiner Schublade stieß ich auf den zerdrückten Brief von Anton. Er lag in einem BH-Körbchen, und ich betrachtete ihn und erwartete fast, dass er sich bewegen würde. Es juckte mich in den Fingern, ihn aufzumachen. Stattdessen nahm ich ihn an einer Ecke und warf ihn in den Papierkorb. Das hätte ich vor Wochen tun sollen.
Dann belud ich das Auto (Irina erlaubte mir, ihren neuen Audi – ein Geschenk von Vassily – zu leihen), hauptsächlich mit Kuscheltieren.
Es war ein klarer Frühlingstag, und es fühlte sich gut an, die Autobahn entlangzubrausen, als würde ich alle Gefahren in London hinter mir lassen. Keine zwei Stunden nach unserer Abfahrt fuhren wir von der Autobahn ab. »Wir sind fast da!« Dann, »Hoppla!«, und unsere unbekümmerte Fahrt war vorbei, als ich plötzlich hinter einem Lastwagen mit Betonbolzen abbremsen musste, der mit fünfundzwanzig Stundenkilometern über die Straße kroch. Die Straße war zu eng und kurvig, als dass ich hätte überholen können, aber ich sagte: »Wir sind jetzt auf dem Land, Ema. Da braucht man sich nicht zu beeilen.« Ema stimmte mir zu, und wir sangen die viertausendste Strophe von The Wheels on the Bus .
Wir brüllten: »Swish, swish, swish!«, und krochen hinter dem Lastwagen her, als er plötzlich – es war wie in einem Film – über eine Bodenschwelle fuhr und die Bolzen sich aus ihrer Halterung lösten und wie kleine Kegel durch die Gegend flogen. Es war keine Zeit, überrascht zu sein. Die Bolzen regneten auf unser Auto, sie flogen auf mich zu, sie purzelten auf die Straße. Einer prallte von der Windschutzscheibe ab, und wie durch ein Wunder bog sie sich nach innen und wirkte wie ein Schild. Einige der Bolzen schlugen auf das Autodach und dellten es ein. Ich hatte keine Sicht, mein Fuß stand auf der Bremse, aber wir rollten weiter. Irgendwann hatten wir aufgehört zu singen, und ich wusste mit absolut klarer Gewissheit, dass wir gleich sterben würden. Ich war kurz davor, mit meinem Kind auf einer Landstraße in Warwickshire umzukommen. Ich will noch nicht … Im Rückspiegel sah ich Ema, und sie guckte verwirrt, aber nicht verängstigt. Es ist mein Kind, und ich habe es nicht beschützt.
Wir schlidderten immer weiter. Mir kam es vor, als wären Jahre vergangen: Ema ging zur Schule, durchlief die Pubertät, hatte ihren ersten Freund, bevor ich merkte, dass wir langsamer wurden. Es war wie in einem Traum, in dem man versucht zu rennen, aber die Beine gehorchen einem nicht. Ich hatte die Bremse durchgetreten, aber sie funktionierte nicht.
Endlich, nach einer Ewigkeit, hielten wir an. Ich saß einen Moment einfach nur da und konnte kaum glauben, dass alles still war, dann drehte ich mich zu Ema um. Sie streckte ihre Hand aus. Sie hatte da etwas. »Glas«, sagte sie.
Ich stieg aus, meine Beine waren so leicht, dass sie zu schweben schienen. Ich befreite Ema aus dem Kindersitz, auch sie war federleicht. Ihr Pagenkopf war mit hunderten von kleinen Glasstücken übersät – die hintere Fensterscheibe war auf sie gefallen, aber seltsamerweise schien sie nicht verletzt zu sein. Und ich auch nicht. Wir hatten keine Schmerzen, nirgendwo war Blut.
Der Fahrer des Lastwagens war ein zitterndes Häufchen Elend. »Oh, mein Gott«, sagte er immer wieder. »Oh, mein Gott. Ich dachte, ich hätte Sie umgebracht, ich dachte, ich hätte Sie umgebracht.«
Er zog sein Handy aus der
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