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Neue Schuhe zum Dessert

Neue Schuhe zum Dessert

Titel: Neue Schuhe zum Dessert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Tasche und machte einen Anruf – er ruft Hilfe, dachte ich teilnahmslos –, und ich stand mit Ema im Arm und sah das zerdetschte Auto und die Bolzen, die auf der Straße hinter uns verstreut lagen. Ich hatte den dringenden Wunsch, mich zu setzen, und ließ mich auf den nicht vorhandenen Beinen am Straßenrand nieder und zog Ema zu mir. Als wir saßen, wurde mir plötzlich klar, dass ich nicht deshalb unverletzt und ohne einen Kratzer davongekommen war, weil ich lachhaftes Glück gehabt hatte, sondern weil ich tot war. Ich zwickte mich in den Arm. Ich dachte, ich hätte etwas gespürt, war mir aber nicht sicher. Also zwickte ich Ema, und sie blickte mich erstaunt an.
    »Entschuldigung.«
    »Oh, Lily«, sagte sie, »sei lieb.«
    Es war ein ziemlich kalter Tag – ich konnte den Hauch von unseren Mündern sehen –, aber ich fühlte mich wohl: leicht schwindelig, weil die Luft so dünn war, aber sehr heiter. Ich hielt Ema fest umschlungen, unsere Wangen berührten sich, und wir saßen ganz still, als würden wir für ein Foto posieren. In der Ferne hörte ich einen Krankenwagen, dann sah ich ihn, junge Männer sprangen heraus und liefen auf uns zu.
    Jetzt ist es so weit, dachte ich. Jetzt nehmen sie meinen leblosen Körper, und ich gucke aus einer Höhe von drei Metern zu, wie sie ihn auf eine Trage schnallen. Ich wusste aber nicht, ob Ema auch tot war oder nicht.
    Der schmale Strahl einer Taschenlampe schien mir ins Auge, ein Blutdruckmessgerät wurde mir an den Arm angelegt, und mir wurden dumme Fragen gestellt. Was für ein Tag es war. Wie der Premierminister hieß. Wer Pop Idol gewonnen hatte.
    Der Fahrer des Krankenwagens, ein vertrauenswürdig aussehender Mann mittleren Alters, sah zu dem zerbeulten Auto hin und schüttelte sich. »Sie hatten verdammtes Glück.«
    »Wirklich?« Jetzt hatte ich die Gelegenheit. »Wollen Sie damit sagen, dass wir nicht tot sind?«
    »Sie sind nicht tot«, erwiderte er sachlich. »Aber Sie stehen unter Schock. Machen Sie nichts Übereiltes.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ich weiß nicht. Nichts Übereiltes, eben.«
    »Ist gut.«
     
    Wir wurden ins Krankenhaus gebracht, bekamen bescheinigt, dass wir verwunderlicherweise vollauf gesund waren, und dann holte Mum uns ab und fuhr mit uns in ihr idyllisches kleines Haus in einem idyllischen kleinen Dorf inmitten von Feldern und Wäldern. Mums Garten grenzte an eine Wiese, auf der drei dümmlich blickende Schafe standen und ein Lamm glücklich und leicht verblödet herumsprang.
    Ema, das Mädchen aus der Stadt, war von ihrem ersten lebenden Schaf verwirrt.
    »Böser Hund«, rief sie ihnen zu. »Böser, böser Hund.«
    Dann fing sie an zu bellen – nicht sehr überzeugend –, und die Schafe versammelten sich am Zaun, steckten die wolligen Köpfe zusammen und betrachteten sie mit mildem Blick.
    »Komm rein«, sagte Mum. »Ihr hattet einen schrecklichen Schock, du musst dich hinlegen.«
    Ich wollte Ema nicht allein lassen, wollte sie nicht aus den Augen lassen, nachdem ich sie fast verloren hatte, aber Mum beruhigte mich: »Hier ist sie in Sicherheit«, und ich glaubte ihr. Im nächsten Moment verfrachtete sie mich in ein Zimmer mit Holzbalken an der Decke und einem Rosenmuster an den Wänden, und ich ließ mich in ein weiches Bett mit glatten Baumwolllaken sinken. Alles roch sauber, freundlich, sicher.
    »Ich muss mich um Irinas Auto kümmern«, sagte ich, »und ich muss Anton anrufen. Und ich muss dafür sorgen, dass Ema nie wieder etwas Schreckliches zustößt. Aber zuerst will ich schlafen.«
     
    Und dann war es Morgen, und ich schlug die Augen auf und sah Mum und Ema im Zimmer, und Ema lachte ihr Melonengrinsen.
    Das Erste, was ich sagte, war: »Wir sind nicht gestorben, gestern.«
    Mum warf mir einen Blick zu, der bedeutete: »Nicht vor Ema«, und fragte: »Wie hast du geschlafen?«
    »Ausgezeichnet. Ich bin mitten in der Nacht aufs Klo gegangen, und ich habe mich nicht am Türrahmen gestoßen und meinen Sehnerv verletzt, was dazu geführt hätte, dass ich für den Rest meines Lebens alles doppelt gesehen hätte.«
    »Dein Vater ist auf dem Weg, er muss sich selbst überzeugen, dass du den Klauen des Todes entronnen bist. Aber das heißt nicht, dass wir wieder zusammenkommen«, fügte sie noch schnell hinzu. Das sagte sie jedes Mal zu mir, wenn sie Dad traf. »Und ich habe Anton angerufen.«
    »Lass ihn nicht kommen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich nichts Übereiltes tun möchte.«
    Sie sah mich an. »Es ist so traurig, das mit dir

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