Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
dann.«
Frank winkte dem Obergefreiten zum Abschied, aber der saß mit dem Rücken zu ihm und starrte über seine Schreibmaschine hinweg aus dem Fenster.
»Hab ich mir schon gedacht«, sagte der Spieß, nachdem er den Zettel des Arztes gelesen hatte. »Habe ich mir gleich gedacht, als ich die G-Karte gesehen habe. Schöne Schweinerei ist das. Wieso sind Sie denn bloß Tauglichkeitsstufe drei, Lehmann?«
»Keine Ahnung«, sagte Frank, »kann ich nichts für.«
»Was haben Sie denn? Schwache Lunge oder was? Leistenbruch? Was ist denn los mit euch, ihr seid noch keine zwanzig und habt schon so Dinger.«
»Ich nicht. Ich hab keine Dinger.«
»Jetzt können Sie kein Pionier werden, Lehmann.«
»Wollte ich sowieso nicht«, sagte Frank. »Ich habe gerade eine Verweigerung laufen, Hauptfeld!«
Sie waren nicht im Büro des Hauptfelds, sondern standen sich am Tresen der Schreibstube gegenüber, und der Gehilfe des Spieß, der Obergefreite Albrecht, stand auch dabei.
»Albrecht meint, damit kommen Sie sowieso nie durch,
Lehmann«, sagte der Spieß, und Albrecht nickte dazu. »Naja, so oder so, wir werden Sie wohl verlieren, Lehmann, vor der Zeit, würde ich sagen.« Er seufzte. »Haben Sie eigentlich was gelernt?«
»Speditionskaufmann.«
»Speditionskaufmann? Wieso haben die Sie dann zu uns geschickt? Das ist doch was für den Nachschub!«
»Keine Ahnung.«
»Hm …« Der Spieß schaute Albrecht an. »Wie lange sind Sie noch hier, Albrecht?«
»Dreihundertsiebenundzwanzig Tage, Hauptfeld.«
»Naja, dann bleiben Sie uns ja noch lange erhalten.«
»Ja, Hauptfeld.«
»Tja …«, sagte der Hauptfeld und hob dazu die Schultern. »Dann geht das auch nicht … «
»Was?«
»Nichts, Lehmann, vergessen Sie das. Ich frage mich, was die sich dabei gedacht haben. Frank Lehmann … Nicht gerade ein seltener Name, ich glaube fast, die haben Sie verwechselt!«
»Wieso?«
»Das kommt vor. Da läuft irgendwo so ein Baggerfahrer namens Lehmann rum, und der ist jetzt beim Nachschub, und Sie sind hier bei den Pionieren. Speditionskaufmann, das schreit doch nach Nachschub, da steht Ihnen doch schon Nachschub auf der Stirn geschrieben.«
»Ist mir egal«, sagte Frank, »ich verweigere gerade.«
»Ja, genau«, sagte der Spieß, »das habe ich noch vergessen, Lehmann. Haben Sie die Einladung zur Verhandlung noch?«
»Ja.«
»Da müssen Sie mir noch den Empfang quittieren.«
Frank unterschrieb ihm, daß er die Einladung erhalten hatte.
»Und nicht vergessen, Lehmann: Mittwoch abend hauen Sie ab und fahren nach Hause, das geht ja Donnerstag früh für
Sie los.« »Ja, Herr Hauptfeld.«
»So, dann gehen Sie mal ohne Meldung ab, Lehmann.« »Ja«, sagte Frank und ging zur Tür. »Und, Lehmann!«
»Ja?« Frank hielt an der Tür inne. Das macht er immer, dachte er gereizt. Das ist seine Spezialität. Er reicht einem immer in letzter Minute noch was rein. »Viel Glück!« »Danke!«
»Keine Ursache. Werden Sie brauchen.«
28. FDP-MANN
»Schon gut«, sagte der Vorsitzende und fummelte an seiner mächtigen Brille. »Schon gut, nun beruhigen Sie sich doch!«
»Das sagen Sie so«, sagte Frank und ließ dabei die Stimme brechen und die Unterlippe zittern, so als ob er gleich anfangen würde vor Empörung zu heulen, denn Empörung, soviel war sicher, mußte er jetzt zeigen, im siebten Stock des Kreiswehrersatzamt-Hochhauses in der Nähe des Bahnhofs von Bremen. Zunächst war alles nach Plan verlaufen, sie hatten die Sitzung eröffnet, seine schriftliche Begründung verlesen, ein durchaus bemerkenswertes Dokument, wie er gefunden hatte, das aus fremdem Mund vorgelesen zu hören ihn ein bißchen stolz gemacht hatte, es hatte gut und überzeugend geklungen, wirklich ein Meisterwerk der pazifistischen Trantütigkeit, wie Martin Klapp es genannt hatte, und somit genau das richtige für eine anständige Kriegsdienstverweigerung. Auch die Zeugenaussage seiner Eltern und die von Martin Klapp hatten, wie er fand, Eindruck hinterlassen, jedenfalls bei ihm selbst, und er war eigentlich guter Hoffnung gewesen, als es plötzlich knüppeldick gekommen war mit einer Stellungnahme von Hauptmann Schickedanz, in der er Frank bescheinigte, ein guter, nie unangenehm auffallender Soldat mit guten Schießergebnissen zu sein, sowie einer Stellungnahme von Pionier Schmidt, ausgerechnet von Schmidt, die aussagte, daß Frank seine Gründe für die Verweigerung in einem Gespräch mit Schmidt dergestalt benannt hätte, daß er nicht mehr dauernd angeschrien
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