Neue Zeit und Welt
Beziehung. Aus diesem Grund wusste Joshua, wenn er auch nicht genau wahrnahm, wo er sich befand oder wie er hingelangt war, alles, was es darüber zu wissen gab, wie die Sonne auf einem ganz bestimmten Stück Glas funkelte, dass das Wasser im Hafen genau so klang, wie es klingen musste, dass er diesen Ort kannte, aber auch wieder nicht kannte, so, als sei das der Traum von einem Ort, wo er einst gewesen. Joshua befand sich, um genau zu sein, in einem Zustand, der Anfällen zu folgen pflegte.
Das heißt, er befand sich zwischen zwei Anfällen. In der vergangenen Woche – seit er seinen Helm verloren – hatte er am Tag zwischen fünf und zehn Anfälle gehabt und war auf irgendeine Weise von seinem Camp in den Bergen hinabgewankt in diese verschwommen wirkende Hafenstadt, von der er wusste, dass sie Bedeutung für ihn hatte, wenn auch nicht, welche. Wie eine Marionette war er gekommen, zuerst durch Krämpfe schlappgeschüttelt, dann willenlos in halbwachem Nachtwandeln zwischen Anfällen zu diesem unbewußten Ziel getrieben. Heute war sein erster voller Tag in der Piratenstadt. Er hatte eben Krampfzuckungen hinter einer Bar überstanden und würde wohl erst in einigen Stunden wieder geschüttelt werden. Also eine lichte Pause, ein Zustand besonderer Wahrnehmungen.
So schien die Zeit aus den Fugen zu sein. Augenblick folgte nicht in irgendeinem Takt oder Schema auf Augenblick. Jede Sekunde hatte ihr Eigenes, um singend hinausgeschickt zu werden ins All oder zurückgehalten und genau untersucht zu werden, wie es eben passend erschien.
Aber nichts schien genau zu passen.
Sein Kopf war für seinen Körper zu groß, seine Füße für die Stiefel zu klein. Die Kais ragten im falschen Winkel ins Wasser, der Himmel war zu blau. Die Januarluft hatte überhaupt nicht den Geruch von Luft, sondern war ein stechendes Gemisch der verschiedenen Gerüche ihrer Bestandteile: Sauerstoff, Stickstoff, Salz, Tod, Opium, Gelächter. Josh roch sie alle ganz deutlich – einzeln und in der Vereinigung – mit einer Art schwindliger Erschöpfung.
Die Stadt umlärmte ihn, als er die überfüllten Straßen auf – und abging. Es herrschte reges Treiben: Bettler, Hausierer, Musikanten, Huren, Piraten, Schmuggler, religiöse Eiferer und Halsabschneider jeglichen Zuschnitts. Joshua sprach mit einigen von ihnen längere Zeit, obwohl er sich später nicht erinnern konnte, worüber. Einmal gab er sein ganzes Geld einem beinlosen Matrosen für ein Bonbon, das er bald wieder erbrach.
Solcher Art waren die Tiefen, in die er hinabgestürzt war. Noch eine Woche zuvor war Joshua ein stolzer Mensch, Jäger und Schreiber gewesen. Nun erkannte er den Gänsekiel in seinem Stiefel so wenig wie den Klang seines eigenen Namens oder die Richtung, die er einschlug. Er kam sich undeutlich wie ein Korken im Taifun vor – ertrinkend, wenn er nicht flog.
Er ging am Nachmittag den Pier entlang. Schiffe wurden be- und entladen. Fischer tranken Dschungelrum, Wesen setzten zum Spaß ihr Leben aufs Spiel; der Hafen war voller Lärm und Sonne. Alles erschien schrecklich lustig.
Die Bars und Bordelle waren entlang einer Strecke, die Joshua immer wieder abging, ziemlich neu. Erst ein paar Jahre alt, wie nach einem Brand wiederaufgebaut. Josh starrte angestrengt auf ein neues Gebäude, ein scheunenartiges Lagerhaus für Fisch, als es plötzlich vor seinen Augen in Flammen aufging.
Riesige, schäumende Flammen, an den Wänden hinaufzüngelnd wie seltene Seidenstoffe in peitschendem Wind. Wesen stürzten schreiend, lodernd, fallend heraus: Harpyien, Satyre, Menschen, Vampire, Zentauren. Ein Zentaur. Es war Beauty.
Joshuas Herz stockte. Beauty, sein bester Freund, anmutiger Zentaur, Kamerad in hundert Abenteuern: Beauty, sich aufbäumend, die Mähne in Brand; Beauty, nach Luft wimmernd; Beauty, seine Vorfahren um Kraft anrufend. Josh lief tränenüberströmt, mit ausgebreiteten Armen, auf ihn zu – und er verschwand. Verschwand einfach, zusammen mit dem Brand und seinen Waisen. Nichts blieb als der neue Fisch-Schuppen, die hastenden Seeleute. Die jetzige, greifbare Welt.
Das Feuer ist nicht jetzt, dachte Josh. Es war damals.
Er setzte sich mit einem kleinen Ruck auf den Pier, die Beine über dem Wasser baumelnd, und starrte auf sein Spiegelbild, das von der kabbeligen Oberfläche zu tanzenden Streifen zerfetzt wurde. Das bin ich, dachte er. Das ist jetzt. Keine Brände, und Beauty ist nicht hier, ich bin allein.
Das zerfließende, zerfallende Gesicht im Wasser unter
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