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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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alle anderen denken mochten, ob Mensch oder Hydra. Paula belächelte ihre eigenen Empfindungen, hob ihr Glas auf die Kompliziertheit des Menschseins und trank einen Schluck.
    Plötzlich hörte der Mann zu tanzen auf und starrte auf eine Seenixe, die in einem Netz hing und von einem Teil der Schiffsbesatzung gequält wurde. Paula sah, dass der Gesichtsausdruck des Mannes von Seligkeit zu Entsetzen umschlug, als er sah, wie das schöne Meeresgeschöpf gepeinigt wurde. Sie erstarrte, als sie ihn über den Kai laufen, zum Netz hinaufspringen und über das Wasser schwingen sah. Und als er die Seenixe befreite, zuckte auch Paulas Herz befreit beim Anblick einer solchen Heldentat.
    Ihre Bewunderung verwandelte sich jedoch augenblicklich in stille Wut, als der ritterliche Mensch wieder über den Kai hinausgeschwungen wurde. Aus der Wut wurde helle Empörung, als der arme, tapfere Mann am Boden einen Anfall erlitt – statt ihm zu helfen, traten ihn die anderen in die Seite, bepissten ihn, stopften seinen von Zuckungen geschüttelten Körper in einen Leinensack und warfen ihn in den Frachtraum des Schiffes.
    Paulas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Sie kannte den größten der beteiligten Piraten – ein bekannter Sphinxmann, ein Sklavenhändler. Er arbeitete in erster Linie für die Königin der Stadt ohne Namen.
    Sie leerte ihr Bierglas und schlenderte den Pier hinunter, als das Piratenschiff den Anker lichtete.
     
    Paula saß an der Pinne der Schaluppe, den Blick fest auf das Piratenschiff in der Ferne gerichtet. Ellen saß neben ihr, Michael stand am Bug und hantierte am Vorsegel. Alle waren Schreiber, alle Spione der Bucherei.
    Ellen rief Michael zu: »Pass bloß auf, du Narr, du fällst gleich hinein!«
    »Will nur ein bisschen mehr Wind einfangen«, murmelte er vor sich hin. »Ich glaube, die Schurken werden schneller.«
    »Wir wollen ihnen nur folgen, weißt du, nicht sie einholen«, sagte Ellen so leise, dass Michael es nicht hören konnte. Sie wandte sich an Paula. »Zu nah dürfen wir ohnehin nicht herankommen. Wir wollen doch nicht, dass sie uns sehen, oder?«
    Paula zog die Schultern hoch.
    »Ich bin nicht der Meinung, dass das eine Rolle spielt. Es wird ihnen egal sein, und selbst wenn sie wollten, könnten sie uns nicht einfangen. Ich hoffe, dass sie uns sehen.« Sie machte eine obszöne Geste in Richtung des Schiffes, eine Geste, die viele Zeiten und Kriege überdauert hatte.
    Michael ließ die Hände vom Vorsegel und kam zu den beiden Frauen zurück. »Also, worum geht es eigentlich? Ist der Knabe ein Archivarrenegat oder was? Werden die ENGEL ihn foltern, um dahinter zu kommen, was für neue Wörter er entdeckt hat? Ein Lexikograph, das ist er, ein Lexikonverfasser.« Er hob in spöttischem Triumph den Finger.
    Ellen fand das Gerede lästig und beachtete ihn nicht. Mit größerer Umständlichkeit als nötig schlug sie ein Buch auf und blätterte, um die Stelle zu finden, wo sie gewesen war. ›Der Wildtöter.‹ Michael setzte sich und las über ihre Schulter mit.
    Paula starrte dem gefangenen Menschen in dem Langschiff weiter nach.
    »Ich kenne ihn«, flüsterte sie. Aber wo hatte sie ihn schon einmal gesehen? Es war mehr ein instinktives Gefühl als irgend etwas anderes. Tief, schwingend. Beinahe so, als hätte sie ihn in einem anderen Leben gekannt. Manche Schreiber glaubten an Wiedergeburt, aber Paula war nicht so sicher. Es hieß, manche Menschen würden in ihren Lieblingsbüchern wiedergeboren, oder zwei Menschen, die sich sehr lieb hatten, könnten als geliebte Figuren wiedergeboren werden, in einer wohlerhaltenen ledergebundenen Ausgabe für immer auf der Seite vereint. Manche behaupteten sogar, ganz selten könnten besonders begabte Schreiber die Figuren schreiben, die sie sein wollten – ganze Lebensgeschichten, ganze Romane verfassen –, und wenn der Schreiber dann starb, würde er oder sie als die Person im Buch wiedergeboren werden und leben, bis das Buch zu Asche zerfiel.
    Paula war von all diesen Dingen nicht überzeugt. Sie wusste nur das eine, dass sie auf irgendeine Weise irgendwo diesen Menschen, hinter dem sie jetzt herfuhr, gekannt hatte.
     
    Joshua fühlte, wie man ihn aus dunklem Raum in Graues hob. Er krümmte sich fröstelnd zusammen. Das Segeltuch wurde um seinen Kopf aufgewickelt und auf den Holzplanken ausgebreitet; Josh lag in grellem Licht. Langsam gewöhnten sich seine Augen an den Tag.
    Er stand auf und stand schwankend auf dem sonnenbeschienenen Deck. Er sah,

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