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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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ihm schien ihn auszulachen.
    »Warum bin ich hier?« fragte er das Gesicht.
    Die Königin ruft, erwiderte das Gesicht tanzend.
    »Wo sind meine Freunde?« fragte Josh plötzlich aufgebracht. Und schläfrig, er wurde schläfrig.
    Die Königin ist deine Freundin, sagte das Gesicht; nur sprach es jetzt in Zeitlupe.
    Josh öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, aber seine Zunge war eine dicke, kaum bewegliche Schnecke geworden.
    Die Zeit lief dem Stillstand entgegen.
    Aber Josh war unruhig, er wollte, dass die Zeit sich beschleunigte, sich drehte, dass die Zeit zu tanzen begann. Er wollte mit der Zeit tanzen.
    Er stand am Pier auf und begann zu tanzen. Zuerst langsam, weil er nicht so fest auf den Beinen stand. Eine Gigue. Auf dem linken Fuß hüpfen, das rechte Bein ausgestreckt, das rechte Bein über das linke Knie, wieder hüpfen. Den Fuß wechseln. Noch einmal. So, schon fühlte er sich besser.
    Ein paar Tiere blieben kurz stehen und schauten zu, dann liefen sie weiter. Menschen waren in der Regel ungebildet und stets schwer zu berechnen; am besten ging man ihnen aus dem Weg.
    Aber Joshua tanzte. Den Pier hinauf und hinunter, wie ein Kobold mit Schüttellähmung. In seinen Gedanken drehte er sich mit einer langen Folge von Erinnerungen und Hirngespinsten, Figuren, die gelebt hatten und gestorben waren oder noch lebten oder überhaupt nie gelebt hatten; die, einer wie der andere, aus seinem Kopf auf den Pier sprangen, um zu tanzen. Beauty und Jasmine, Ollie und Rose. Jetzt hüpfte Jarl, der Bärenkönig, dann warf ein Zyklop-Barkellner die Beine im Cancan.
    Nun knickste und wirbelte Dicey. Josh nahm sie in die Arme, und sie drehten sich langsam. Dicey war seine Base, seine junge Braut, die Liebste. Sie war vor fünf Jahren von Vampiren getötet worden, aber nun, in Joshuas Armen, war sie federleicht wie Luft.
    Schneller wirbelten sie, unbehindert von der Schwerkraft, denn sie waren schwerelos, sie flogen, sie ließen den Rest der Welt – die blutige Welt, voller Schmerz, voll unvollständiger Belohnungen und glatter Zurückweisungen –, ließen diese Welt verschwinden. Josh versuchte diesen Augenblick festzuhalten, versuchte ihn innerlich an sich zu pressen, damit er nie mehr weichen möge, oder dass er ihn in einem Augenblick der Erinnerung zurückholen könnte, alle die Gerüche und Empfindungen.
    Wesen auf dem Pier beobachteten den Menschen, der in wahnhafter Einsamkeit hin- und hertanzte. Aber nur wenige beachteten ihn oder hielten sich länger auf. Menschen waren nicht mehr wert als das auf ihren Kopf gesetzte Geld, und bei einem, der sich so aufführte, lohnte auch das Kopfgeld kaum die Mühe.
    Der Tanz war zu Ende. Dicey knickste, Joshua verbeugte sich. Dicey kicherte und lief den Pier hinauf, hinter das Schiff, das neben der Helling vor Anker lag und ein wenig schwankte. Josh folgte ihr, obwohl er sich jetzt ein wenig langsam auf den Beinen fühlte, sogar ein bisschen schwindlig. Als er die andere Seite des Schoners erreichte, blieb er wie angewurzelt stehen. Dicey war verschwunden, aber ein düsterer Anblick hielt ihn fest.
    An einer Spier, die man hinausgeschwenkt hatte über den Kai, hing baumelnd ein Fischernetz. Und verfangen im Netz, nutzlos sich wehrend, befand sich eine Wassernixe. Ein wunderschönes Wesen, der menschliche Oberkörper biegsam und kaffeebraun, fließender Übergang zu muskulösem Otternschwanz aus hellbraunem Fell. Beide Arme weit gespreizt durch Löcher im Netz gestoßen, so dass sie sich kaum bewegen konnte, sich nur immer mehr im Geflecht verfing, über dem Pier hängend und schwankend.
    Josh starrte auf ihr Gesicht. Ist das Dicey? fuhr es ihm durch den Kopf. Beinahe hätte sie es sein können. Vom Wetter stärker gezeichnet, als er Diceys Gesicht in Erinnerung hatte; weiser, vielleicht. Aber die Linien waren da, und der Geist. Konnte Diceys Geist in den Körper dieses verzweifelten, empfindlichen Wesens geschlüpft sein? Josh näherte sich zögernd.
    Andere kamen ihm zuvor. Zwei Vampire, eine Sphinx, ein Affe mit Geweih – allesamt Piraten, sprangen sie vom Schiffsdeck auf den Kai und begannen ihren Fang grob zu beschimpfen.
    Die Vampire packten die Handgelenke der Meernixe, die hilflos im Netz gefangen war, schlitzten sie brutal auf und leckten an dem Blut, das auf die Holzplanken herabtropfte.
    Der Affe sprang auf den Rücken der Armen und rieb sich an der wunderbar weichen Robbenhaut ihrer Rückseite, während er derb nach vorn zu ihrer Brust griff, um zu quetschen und zu

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