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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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dass er auf einem großen Boot war, das in einem kleinen Naturhafen leise schwankte. Rundum ihn herum standen oder lagen noch fünfzehn andere Menschen – in Säcken, Ketten oder Stricken –, umgeben von Piratenabschaum. Er wünschte sich ein Ende dieses Traums herbei.
     
    Paula steuerte an der Stadt vorbei in Richtung Süden, einige Meilen auf See. Sie sah das Piratenschiff im Hafen ankern; die winzigen Gestalten schienen ihre aus Gefangenen bestehende Fracht auszuladen. Paula segelte weiter.
    »Was nun?« fragte Michael, der auf das geschäftige Treiben in der Bucht hinüberstarrte.
    »Nach Hause«, sagte Paula.
    Sie fragte sich, ob sie jemals ein Zuhause haben würde – ob ihnen allen je eines beschieden sein würde. Sie lebten jetzt in Höhlen, in einer dunklen Unterwelt von Träumen und Ängsten, in einer Welt des Wartens. Ein Ort, wo sie an ihren Lexika arbeiteten, planend für den Tag, an dem der menschliche Geist wiederbelebt werden würde, wieder wachsen konnte – später. Aber nicht jetzt. Denn wie sollten sie blühen, wenn sie noch nicht einmal Wurzeln schlagen durften?
    Paula blickte auf Ellen und Michael, die still am Bug saßen. Sie betrachtete sie als ihre jüngeren Geschwister – naive Kinder, in einer Zeit aufwachsend, die voller Harm war. Sie brachte ihnen die Kunst des Überlebens bei, aber erteilte ihre Lektionen eher widerwillig und aus halbleerem Herzen.
    Dafür und für ihre mürrische Zuneigung liebten sie Paula, die kindlichen Geschöpfe. Und wenn sie einen Funken von diesem Gefühl entdeckte, dann wusste sie, dass ihr Herz mindestens halbvoll war.
    Sie rief ihnen zu: »Ich denke an ein Wort mit sieben Buchstaben, das mit ›A‹ anfängt.«
    Michael merkte sofort auf.
    »Tierisch, pflanzlich oder anorganisch?« fragte er.
    »Mu-u-uß es eines von den dreien sein?« fragte Ellen, das erste Wort in die Länge ziehend.
    »Das ist ein guter Anfang, Kleines.«
    »Na, und wie wär’s mit Feuer? Das ist keines von den genannten«, sagte Ellen.
    »Es hat aber keine sieben Buchstaben, Kleines.«
    »Es ist pflanzlich«, warf Paula lächelnd ein. »Und das ist eure erste Frage.«
    Sie segelten einen Kurs Südsüdwest, bis sie weit außer Sichtweite der Festung waren, dann kreuzten sie langsam auf dem Rückweg, bis es dunkel wurde. Sie steuerten auf die Klippen fünf Meilen südlich der Stadt zu und waren wegen einer Ausbuchtung der Küstenlinie von dort aus nicht einzusehen. Als die Nacht herabsank, trieben sie lautlos mit der Flut zu den senkrecht aus dem stillen Wasser ragenden Klippen. Diese waren aber nicht durchgehend weiß wie jene, auf denen man die Stadt erbaut hatte – diese Klippenwand war wabenartig von einer Vielzahl großer und kleiner Höhlenöffnungen durchzogen.
    Die Schaluppe mit den drei Schreibern glitt ruhig in eine längliche Höhle hinein, an deren Öffnung das nachtschwarze Wasser mit einem hohlen Echo klatschte, als ächze ein sterbendes Tier.
     
    Es war Abend vor der Stadt ohne Namen. Auf dem Wasser, hinter dem Hafen, stiegen und sanken die Wellen in majestätischer Folge zum Ufer hin. Der Wind war schwach, der Mond stand tief. Blaugeschwänzte Reihas kreisten hoch am Himmel, wachsam auf Spuren von Bewegung unter der Wasseroberfläche achtend, auf der Suche nach zappelnder Nahrung.
    Unter der Oberfläche regte sich etwas. Einer der Reihas stand kurz im Wind, stürzte hinab … fegte vor dem Auftreffen im Wasser hoch. Der Schimmer des tiefstehenden Mondes hatte ihn getäuscht – dort stand kein Speisefisch unter dem Wasserspiegel; das war etwas Größeres; das war ein Wesen, das mit Muße wartete, dort unter dem sanft gewellten Meer.
    Der Reiha flog davon, um sich Passenderes zu suchen. Unter der Oberfläche der See vor der Stadt ohne Namen regte sich nichts.
     
    Josh schlief im Stehen, als der Karren ihn unsanft durch die Straßen der Äußeren Stadt beförderte. Er öffnete einmal die Augen: Vampire und Neuromenschen eilten geschäftig, durcheinander drängend. Ein alter Traum, entschied Josh; vor Jahren war er einmal hier gewesen – nicht jetzt. Er machte die Augen wieder zu.
    Der Karren rollte durch ein zweites Tor in die Innenstadt und schließlich in die Festung. Joshua spürte jede Schwenkung, sah jeden Korridor am Inneren seiner geschlossenen Augenlider gespiegelt, durch eine Linse dunkler Erinnerung.
    Nach einer Zeit wurde er von den anderen Gefangenen getrennt und in eine Einzelzelle gesperrt. Noch immer nur halb bei Bewusstsein, fühlte er, wie er von

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