Neue Zeit und Welt
Dutzenden von Händen gewaschen, angekleidet und untersucht wurde, über viele Stunden, vielleicht Tage hinweg. Es gab Perioden von Licht, Dunkelheit, Wirrnis. Und dann wachte er endlich auf.
Er sah sich in einem kleinen, schmutzigen, fensterlosen Raum. Er hatte keine Ahnung, wo er war, obwohl er sich im Kopf zum ersten Mal seit … seit der Nacht, als Rose fortgegangen war, klar fühlte.
Was für eine phantastische Geschichte hatte sie ihm erzählt? Sie wollte in die Stadt ohne Namen zurückkehren. Um etwas zu finden, das sie dort verloren hatte. Nein, Beauty wisse nichts davon, er würde sie nur zurückhalten. Sie wollte, dass Josh mitging.
Er hatte ihr erklärt, dass das nicht gehe – er habe dort schon selbst zuviel verloren, um jemals eine Rückkehr zu wagen. Deshalb trug er stets den Netzhelm, den sie ihm gegeben hatte, um die gesendeten Strahlen aus der Stadt abzublocken.
Er war fort. Sein Helm war fort.
Er kroch am Boden seiner Zelle herum und suchte nach dem Helm, obwohl er einsah, dass der Helm nicht hier sein konnte. Rose hatte ihn in jener Nacht mitgenommen, und sofort waren Anfälle bei ihm aufgetreten. Tunnel 22, hatte sie gesagt. Unter der Stadt. Dahin sind sie Angestöpselten entkommen, Tunnel 22 auf dem Kanalisationsplan.
Wer die Angestöpselten seien? hatte er wissen wollen.
Meine Kameraden im Schaltkreis, hatte sie lachend geantwortet. Die Menschen, die sie und Josh befreit hatten, die zusammen mit Rose an die Königin angeschlossen gewesen waren.
Es gibt keine Königin, hatte er zurückgegeben.
Sie hatte ihre Haare auseinander gezogen und ihm ihren Anschluss gezeigt.
Wo ist die Verschlußkappe? hatte er gefragt.
Er war erschrocken gewesen.
Wir haben sie entfernt, hatte sie trotzig erklärt. Schließ dich uns an, hatte sie gesagt.
Sie hatte ihm, während er schlief, den Helm abgenommen. Als er wach geworden war, hatte sie gesagt: »Vergib mir, ich will, dass du hinkommst.« Dann hatten die Anfälle begonnen.
Und nun war er hier. Wo war das? Er versuchte die Tür zu öffnen. Abgesperrt. Konnte er schon in der Stadt sein? Er hatte geträumt, in der Stadt zu sein, ja … oder war das gar kein Traum gewesen? Sein Herzschlag beschleunigte sich vor Angst und Ungewissheit.
Ollie würde sich Sorgen machen, das wusste er. Er wünschte sich, Jasmine wäre hier, ihr fiel immer etwas ein. Er probierte sämtliche Muskeln aus. Alle schienen zu funktionieren.
Die Situation war völlig undurchsichtig. Josh suchte in seinem Gehirn nach Festem, woran er sich klammern konnte. Das Wort ist groß, das Wort ist eins, dachte er – seit Generationen der Beschwörungsspruch der Schreiber. Wie stark auch die Nekromantie, durch die er hierhergebracht worden war, sein mochte, er sollte wohl fähig sein, Wörter zum Schreiben zu finden, die dagegen wirkten. Ein guter Schreiber konnte sich aus der ärgsten Gefahr schreiben, und Josh hielt sich für einen recht guten Schreiber.
Er war nicht fromm wie manche Schreiber – große Umstände damit machen, wie viele Wörter er kannte oder wie ausgefallen die Schnörkel seiner Schönschrift waren –, aber er glaubte mit schlichter Gläubigkeit an die Macht des geschriebenen Wortes, las bei jeder Gelegenheit, die sich bot, schrieb, wann immer er konnte.
So versuchte er nun an Wörter zu denken – um sich zu fassen, um Sicherheit zu erlangen. Sesam. Madrigal. Raketentreibstoff. Wenn er nur etwas gehabt hätte, um sie niederzuschreiben. Er griff nach dem Gänsekiel in seinem Stiefel, aber er war jetzt barfuss. Was er anhatte, stammte nicht von ihm. Er hatte einmal ein Buch über einen Gefangenen gelesen, der von seiner Zelle aus einen Tunnel in die Freiheit gegraben hatte, aber hier sah Josh nicht viel Aussicht. Er hätte Gerät dazu gebraucht, und so etwas gab es nicht. Er versuchte an machtvollere Wörter zu denken. Plötzlich ging hinter ihm eine Tür auf.
Er fuhr herum und sah einen Vampir an der Schwelle stehen, der ihn prüfend betrachtete. Reflexartig sträubten sich Joshuas Nackenhaare, und er duckte sich kampfbereit.
»Du bist also wach«, sagte der Vampir leise.
»Was willst du?« knurrte Josh.
»Du hast Glück«, sagte der Vampir ganz ruhig. »Es heißt, du wirst eine Audienz bei der Königin bekommen.« Worauf er die Tür wieder schloss.
Josh ließ die Muskeln erschlaffen, aber nicht seine Entschlossenheit; wo er auch sein mochte, er musste entkommen.
Die Königin. Joshuas Fäuste öffneten und schlossen sich, während er nachzudenken versuchte.
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