Neue Zeit und Welt
weinen. »Und jetzt ist er für immer fort.«
Kerzenflamm griff nach ihrer Hand.
»Dann wollen wir uns bei den Händen halten, du und ich, in der schützenden Nacht dieser Höhlen, unter dem Schatten der Festung am Fluss.«
Die Höhlen ringsum schienen tiefer zu werden, als weiteten sie sich unter ihrer Verzweiflung.
Sie hielten sich fest an den Händen, aber trotz ihrer körperlichen Nähe war jeder allein.
Kapitel 4
Worin sich noch drei
der Suche anschließen und zum
ersten Mal etwas bedauern
B eauty war unter den Zentauren begnadet. Er war geboren mit der Gabe des Gleichgewichts, einem Gefühl, das ihn selbst im Turbulentesten aufrecht hielt. Er besaß einen schönen, kraftvollen Körper und einen Geist, tief wie die Wiege des Ozeans. Er liebte und wurde geliebt.
Zwei Jahre lang, nachdem er Rose aus ihrer Sklaverei in der Stadt gerettet, lebten sie bei Monterrey in sorglosem Frieden. Sie widerstanden zunächst dem vorrückenden Eis, mussten dann nachgeben und wie alle anderen nach Süden ziehen. Vom Wald in die Stadt, vom Fluss zum Tal, zogen sie drei Jahre lang dahin und kamen schließlich bis zu den Sattelbergen hinunter – so weit südlich, wie sie es wagten, ohne in das Terrarium selbst einzudringen. Während dieser langen Wanderung war es dazu gekommen, dass Rose abweisend wurde.
Zu Anfang fiel das Beauty gar nicht auf. Er war beschäftigt mit dem Klima, mit den Winden, mit dem, was er im Verhalten aller Tiere in diesen Breiten als zunehmende Unberechenbarkeit empfand. Er hielt den Blick auf den fernen Horizont gerichtet, so dass er gar nicht wahrnahm, dass das einzige Boot in seinem sicheren Hafen davonzutreiben begann. Bis er es bemerkte, war Rose auf See und nahm rasch Wasser auf.
Sie neigte zum Weinen. Zielloses, kraftloses Weinen, ohne erkennbaren Grund. Sie konnte nie genau sagen, woran es lag, dass sie weinte, oder warum sie aufhörte, sobald sie es tat. Aber mit einem Gefühl des Verlorenseins hatte es zu tun.
Als Beauty endlich dahinter kam, dass es sich hier nicht um eine zeitweilige Melancholie handelte, fand er keinen Weg, ihr zu helfen. Er war gütig zu ihr oder streng. Er war ein Fels. Er war ein Leuchtfeuer in der Nacht, aber sein Licht gab ihr keinen Trost – sie war untröstlich.
Bis sie Schwarzwind begegnete. Er war ein wild blickender Wanderer, auf den Rose und Beauty hoch in den nördlichen Sattelbergen stießen und mit dem sie während eines zweitägigen Hagelsturms eine Höhle teilten. Ein düsterer, kleiner Mann, fand Beauty; angespannt und auf der Flucht. Wie sich herausstellte, war Schwarzwind ein Angestöpselter.
Er und Rose erkannten sich fast auf den ersten Blick. Ihre gemeinsamen Erlebnisse in der Stadt hatten sie mit einer Art Radar für das Aufspüren von ihresgleichen ausgestattet. Sie sprachen die zwei Tage des Sturms fast unaufhörlich flüsternd miteinander. Als es endlich aufklarte, stahl sich Schwarzwind davon, ohne zu Beauty ein Wort zu sagen, und Rose blieb zurück, unergründlichen Blicks.
Sie zogen einige Wochen lang weiter nach Osten, Beauty zunehmend besorgt. Wo Rose zuvor verloren gewesen zu sein schien, wirkte sie jetzt wie in einer Falle; vorher verwirrt, nun mürrisch. Er ertappte sie dabei, dass sie ihn mit niedergeschlagener Entschlossenheit ansah.
Eines Tages erklärte sie ihm dann, sie werde zu Josh gehen, sie müsse mit ihrem gemeinsamen alten Freund reden. Beauty wollte sie zuerst nicht allein gehen lassen, aber sie bestand darauf, und er hatte das Gefühl, Josh könne vielleicht dort helfen, wo es ihm selbst offenbar nicht möglich war.
So ging sie fort. Und kam nicht mehr zurück.
Beauty verlor sein Gefühl für das innere Gleichgewicht während der ganzen Zeit nicht. Für alles gibt es eine Jahreszeit, hatte Jasmine einmal zu ihm gesagt, und das erschien ihm richtig. Alles zu seiner Zeit. Das hieß nicht, dass nicht manche Dinge ihn verstörten oder auf der Hut sein ließen – nur soviel, dass er sich nicht leicht aus dem Gleis werfen oder unterkriegen ließ.
Als Rose nicht rechtzeitig zurückkam, folgte Beauty deshalb ihrer Fährte zu Joshuas Camp. Er freute sich auch darauf, Josh wieder zu sehen – in den vergangenen zwei Jahren hatten sie wenig voneinander gehört, und Beauty vermisste seinen Kameraden sehr. Es war aus diesem Grund ein doppelter Schlag, dass beide verschwunden waren, Josh wie Rose. Doppelt, aber nicht ganz unerwartet – er hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt und sah sich bestätigt,
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