Neue Zeit und Welt
schaukeln. War dies das Innere des Großen Worts? War er Teil seines Lichts geworden? Er atmete tief ein.
Der Geruch war wunderbar.
Ein Gesicht tauchte vor ihm auf. Seine Todesgöttin, die Meernixe, die Diceys Augen hatte. Wo hatte er sie schon einmal gesehen? Sie sah so gütig und besorgt aus. Liebevoll und doch verwundbar.
Er lächelte sie an.
»Ist das also der Tod?« flüsterte er. Er ging davon aus, dass es nötig sei, im Land der Schatten zu flüstern; es gab hier keine lauten Geräusche. Aber dunkel war es hier gar nicht. Es war unendlich hell.
»Du warst tot, bist es aber nicht mehr«, sagte die Meernixe. »Mein Volk versteht es, Leben aus dem Meer zu holen.«
Josh war ein wenig enttäuscht darüber, nicht auf der Anderen Seite zu sein – aber dieses Gefühl wurde rasch von Neugier verdrängt.
»Wo bin ich dann? Und wer bist du?«
»Ich bin Kshro«, sagte das Wassergeschöpf lachend. »Du bist im Meer meines Volkes, der Selkies. Du hast mich gerettet, als ich in Ma’Gas’ im Netz hing, und als du ins Netz geraten bist, bin ich deinem Boot gefolgt. Ich wartete in der Bucht auf dich, vor der großen Burg auf dem Felsen – und endlich kamst du. Nur warst du zerbrochen und hast Wasser geatmet. So brachte ich dich hierher in mein Meer, und mein Volk blies dir das Wasser aus der Lunge und belebte deinen Geist wieder und begann deine Beine zu heilen. Und nun bist du bei mir.«
Sie lachte wieder, ganz fröhlich, ihr Lachen war wie eine sommerliche Fontäne. Der Tag war wolkenlos, leuchtend azurblau. Neben ihm schwamm die Meernixe, vom Selkie-Volk. Sie war wunderschön.
Er erinnerte sich jetzt an sie, das Wesen, das er während einer seiner Halbtrancen nach einem Anfall aus dem Fischernetz in Ma’Gas’ befreit hatte. Sie war von Vampiren gequält worden, hatte ihn an seine tote Frau erinnert, und er hatte sie aus dem Netz befreit. Bis er richtig zu sich gekommen war, hatte er sich in der Festung befunden.
Er sah sich die Nixe genauer an, ein wenig verstohlen. Sie schien etwa neunzehn Jahre alt zu sein. Ihr Haar fiel in dunkelgoldenen Wellen bis auf ihre breiten, kräftigen Schultern, ihre Haut hatte die Farbe von Milchkaffee, ihre Augen waren grün, die Nase sah gerade und lang aus, das Gesicht wurde von hohen Backenknochen beherrscht. Ihre Schlüsselbeine wölbten sich anmutig vom langen, schmalen Hals hinaus und ahmten die Rundung der festen Brüste am Brustkorb mit seinen kräftigen Muskeln nach. Ihr Bauch war bedeckt mit zartem, flaumigem Haar, das in der Sonne schimmerte und über ihren glatten Hüften dichter wuchs, bis es über ihrem ganzen Unterkörper zu einem weichen, hellbraunen Fell wurde – ein schlanker, kraftvoller, delphinartiger Fischschwanz.
Sie lag neben ihm, engelhaft lächelnd, und hielt seinen Kopf über das Floß aus schwimmendem Riementang, auf dem sie ruhten, damit er sein Reich überblicken konnte. Ungefähr hundert Meter entfernt sah er eine Insel, eine Meile breit und halb so tief. An einer Seite verlief ein Sandstrand, der am anderen zu einer Felsküste wurde; dazwischen Grotten und Zuglöcher. Das schmale Innere der Insel war üppig bewachsen mit Palmen, Paradiesvogelblumen, tropischen Ranken und Jakarandabäumen. Über ihnen kreisten in trägem Flug Möwen.
Hinter dieser Insel war eine zweite Insel erkennbar – wie weit entfernt, konnte Joshua wegen des verkürzten Blickwinkels nicht sagen, aber sie schien nur an die hundert Meter dahinter zu liegen. Diese Insel war kleiner und weniger stark bewachsen. Die Entfernung war zu groß, als dass Josh genaue Einzelheiten hätte erkennen können.
Er blickte nach beiden Seiten, bog sich zurück und schaute nach hinten: nichts als Meer und Himmel und wieder Meer. Er schaute hinunter auf seine Beine – und zuckte vor Schreck zusammen. Seine beiden Beine waren jetzt ein einziges, dickes, bräunliches Glied, ein wenig zulaufend, unten gekehlt. Er starrte in fassungslosem Staunen auf die Verwandlung.
»Ihr habt mich in einen Meermann verwandelt!« rief er und warf sich zur Seite.
»Nein, nein – wenn es nur so wäre. Wir haben lediglich deine Beine mit einem Bindekraut zusammengeschnürt, das hier in der Bucht wächst – damit deine Brüche heilen –, und in das Kraut einen alten Selkie-Schwanz hineingeflochten, um deine Füße einzuhüllen, damit du dich im Wasser besser bewegen kannst, obwohl du eigentlich deine Beine nicht bewegen, sondern darauf achten solltest, dass das Wasser sie trägt und leise wiegt, wie man es mit
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