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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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zerstörter Schiffe vorbei. Sie bewegte sich wie eine Seeschlange, glitt über verfaulendes Holz und durch hängende Luken, während sie Josh wie eine Lieblingspuppe hinter sich herzog. Auf halbem Weg die Küste entlang schleppte sie ihn in die einst feudale, algentriefende Kapitänskajüte einer Diplomatenfregatte, die vor dem Krieg der Rassen gekentert war. Das Deck ragte im Winkel von dreißig Grad aus dem Wasser, die Messingbeschläge waren voll Grünspan. Kshro und Joshua zogen sich halb auf die zerfallenden Planken und ließen ihre Schwanzflossen ins Wasser baumeln.
    »Hm«, sagte Joshua, der sich langsam wieder zu ermannen begann. »Ich danke dir. Dafür, dass du mir das Leben gerettet hast, und dass ich hier bleiben darf, bis es mir besser geht. Das ist sehr freundlich von euch, und ich …«
    Sie legte den Finger an die Lippen.
    »Ich danke dir. So gut war noch nie ein Mensch zu einem armen Selkie-Mädchen.«
    »Es gibt gute Menschen und schlechte – wie es überall ist«, erklärte er, das Kompliment zurückweisend.
    »Schau.« Sie zeigte auf ein gezacktes Loch im Rumpf, wo sie sich ausruhten. Er folgte ihrem Blick zum Sandstrand, wo die ausgebleichten und zerfallenen Gebeine von tausend Seeleuten lagen. »Menschen, die meisten«, fuhr Kshro fort. »Sie segelten hier in der Nähe und sahen uns spielen. Sie wollten uns gefangen nehmen, Sklaven aus uns machen. Jeder hatte diese Absicht. Und jedes Schiff, auf dem man es versuchte, geriet in das Rad, wurde hinabgerissen auf den Grund und hier in Mutters Arme hinausgeschleudert. Und alle, die am Leben blieben, töteten wir für das, was sie gewollt und versucht hatten. Aber du …« flüsterte sie, als könne sie es immer noch nicht begreifen. »Nur du.«
    So blieb er und lernte ihr Leben kennen. Er fand rasch Freunde; sie waren leicht zu gewinnen. Er lernte Kshros Bruder Kourr kennen und ihre beste Freundin Yhrsh, die in wenigen Wochen ein Kind erwartete. Ihre Schwangerschaft veranlasste Josh zu einer Frage.
    »Warum habe ich keine Säuglinge gesehen?« wollte er von den dreien wissen, als sie eines Tages auf einem Felsen lagen und sich sonnten.
    »Bei uns ist es üblich, dass die Kolonie in jedem Jahr nur eine Geburt erlebt«, erklärte Yhrsh. Sie war älter als Kshro und dunkler, mit schwarzem Haar, länger als ihr Körper. Alles an ihr wirkte tiefgründig – ihr Verstand, ihr Mitgefühl, ihre Intuition. Sie ließ sich von Josh die Hand auf den Bauch legen, der prall angespannt war. »Jetzt ist meine Zeit«, fuhr sie fort.
    »Mit nur einem Kind in der Gruppe gibt es keine Konkurrenz, keinen Kampf um Bevorzugung. Das Kind erhält die Zuneigung der ganzen Gemeinschaft – von Geburt an kennt es nur Liebe, Geben und Nehmen. Auf diese Weise gehören wir alle zusammen.«
    »Und denken nur an uns selbst«, sagte Kourr lachend und nahm Kshro den Spiegel aus der Hand, um seine blonden Locken zurechtzustreichen.
    »Das erklärt aber immer noch nicht, warum man hier sonst keine kleinen Kinder sieht«, meint Josh beharrlich.
    »Nein. Wir hatten schlechte Jahre«, gab Kshro zurück. »Voriges Jahr starb Oshar bei der Geburt, zusammen mit ihrem Kleinen. Im Jahr zuvor raubten Piraten ein paar Junge, und davor gelangte Nessie über das Korallenriff herein.«
    »Aber solltet ihr dann nicht für die nächsten Jahre mehr Kinder in die Welt setzen? Wenn mehr sterben, als geboren werden, geht eure ganze Kolonie zugrunde.«
    »Mag sein«, sagte Yhrsh mit einem Nicken, »aber mehr als ein Kind gleichzeitig würde Konkurrenz entfachen. Es ist besser, unsere Kolonie stirbt, als dass wir uns diesem Dämon überlassen.«
    »Aber ihr müsstet doch nicht …«
    »Das ist unsere Art, Joshua«, sagte Kshro lächelnd. »Ich sehe, es ist nicht die deine.«
    Aber er passte sich ihnen an. Mit dem weichen Seetangverband um seine Beine sah er nicht nur aus wie ein Selkie, er begann sich auch wie einer zu fühlen. Jeden Tag schwamm er länger – meist im Seichten um die Wracks, manchmal aber auch im Tiefen an der Rückseite der Insel. Ein- oder zweimal fuhr er sogar allein mit dem Rad.
    Es war eine wundersam verspielte Kultur, und Josh hatte lange nicht mehr gespielt. Er war in der richtigen Gemütsverfassung, sich ihnen anzuschließen. Den Großteil des Tages verbrachten sie faul auf den Felsen der kleineren Inseln, gewärmt von der Sonne, gekühlt vom Gischt. Die einzigen Unterbrechungen in dieser seligen Untätigkeit waren die Spiele: Tieftauchen, durch Brandungswellen springen, Fangen

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