Neue Zeit und Welt
Dinge.
»Ist das wahr?« erkundigte Aba sich bei D’Ursu. »Dein Vorschlag?«
»Keine Spur«, flüsterte der Bär, »aber ich glaube, dass mit dieser List viel zu gewinnen ist. Das Dokument habe ich auf Jarls Sitz gelegt, so dass die Witterung stark sein muss. Nicht schlecht gemacht, glaube ich.« Er strahlte.
»Und wenn sie jemand hinschicken, der das nachprüfen soll?«
»Das kostet Zeit. In wenigen Tagen werden wir wissen, ob Beautys Freunde hier sind und wie die Königin zu Jarl und dem Dogen steht.«
»Es sei denn, wir sitzen hier immer noch gefangen«, warnte Aba. Er ging zur Tür und drehte den Knopf. Sie ging auf.
»Was habe ich dir gesagt, mein Freund? Wir sind jetzt Ehrengäste.«
»Darauf wollen wir uns lieber noch nicht zu fest verlassen. Je länger wir hier unverdächtig erscheinen, desto mehr werden sie die Zügel lockern.«
»Im Augenblick möchte ich mich auch erst einmal ausruhen«, bestätigte D’Ursu. »Wir sollten alle eine Atempause machen, denn es kann durchaus sein, dass wir hier am Ende nur kämpfend herauskommen.« Er tappte schwerfällig in das mittlere Zimmer und war bald eingeschlafen. Die anderen folgten seinem Beispiel.
Aba erwachte eine Stunde später mit dem Gefühl, beobachtet zu werden. Er öffnete die Augen und schaute zum Bettfuß hinunter. Er wurde in der Tat beobachtet.
Vor ihm saßen zwei Menschen, ein kräftiger junger Mann und eine junge Frau, beide nackt bis auf die glitzernden Edelsteine, die man in ihre Haut eingenäht hatte.
»Was wollt ihr?« fragte Aba.
»Wir sind hier zu Eurer Erfrischung und Lust. Sire. Wir kommen aus dem Harem von Sire Osi.«
»Nein, nein, bitte, ich …«
»Bitte, weist uns nicht zurück, Sire. Es wäre eine große Schande für uns, wenn wir ohne die Spur Eurer Zähne zurückkämen.«
»Aber ich …« Aba fühlte sich in mehrfacher Hinsicht in einer Klemme. Der wichtigste Punkt für ihn war die Identitätskrise, in der er sich befand: Er musste, um zu überleben, Blut trinken, in der Regel Menschenblut – das war ein genetisches Gebot. Aber er verabscheute das, aus ästhetischen, moralischen und historischen Gründen. Er hasste das Leiden, das damit verursacht wurde, auf Kosten seines eigenen, nicht unterdrückbaren Kitzels. Der Geruch menschlichen Blutes erregte und marterte ihn gleichzeitig. In jenen Augenblicken köstlicher Lust, wenn das ekstatische Leben zwischen seinen Zähnen tanzte, schämte er sich am meisten, ein Mitglied seiner Rasse zu sein. So trank er Menschenblut nur zweimal in der Woche, wenn der Hunger ihn dazu zwang, und unterdrückte im übrigen seinen Trieb.
Jetzt galt es aber auch noch andere Faktoren zu berücksichtigen. Es wäre eine schwere Beleidigung gewesen, dieses Angebot zurückzuweisen – für Osi ebenso wie für die Menschen. Osi ehrte ihn durch ein solches Geschenk; das Geschenk nicht anzunehmen, war schon aus rein gesellschaftlichen Gründen ganz undenkbar.
Überdies komplizierte das ganze sich noch dadurch, dass diese Menschen mutmaßliche Spione waren, mit dem Auftrag, zu lauschen, zu beobachten und sich alles zu merken, was Aba im Schlaf oder in Augenblicken der Leidenschaft sagte. Sie fortzuschicken, hieß einzuräumen, dass er etwas zu verbergen hatte.
Und schließlich kam dazu noch das schwer greifbare Gefühl, dass Osi unter anderen Umständen sehr gütig, vielleicht sogar ein Freund hätte sein können. Aba hätte nicht erklären können, warum; er wusste nur, dass er den älteren Vampir mochte – ohne eigentlichen Anlass, aber auch ohne ernsthaften Grund, sich fürchten zu müssen. Er ertappte sich bei der Überlegung, ob Osi hier gewesen war, als Lon den Tod gefunden hatte, ob er ihn bei irgendeiner Gelegenheit danach fragen sollte. Aber es war wohl besser, zunächst abzuwarten.
Er blickte auf die beiden hoffnungsvollen Gesichter am Bett.
»Wir ergänzen uns im Geschmack«, sagte das Mädchen. »Mein Blut ist kühl, das meines Bruders schmeckt würzig.« Sie entblößte vor ihm den glatten, blassen Hals – keine Narbe zu sehen. Sie war seit Wochen nicht mehr angerührt worden. Die silbrigblaue Halsschlagader zeigte sich prall gefüllt. Ihr Bruder beugte sich vor und leckte mit der Zunge über die Stelle am Hals, wo die Schlagader deutlich hervortrat. Die Haut schimmerte ein wenig.
Aba fuhr mit dem Handrücken über den Mund.
»Vielleicht für meine Ernährung«, flüsterte er, »obwohl mir das wenig Vergnügen bereitet. Ich trinke ein wenig von euch beiden, damit keiner mehr
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