Neue Zeit und Welt
Treppe hinauf.
Jasmine und Ollie saßen Rücken an Rücken auf dem Boden und erholten sich. Neben ihnen lagen verrenkt zwei tote Vampire, blutüberströmt, dahinter zwei tote Neurowesen. Jasmine hatte sie – beim letzten mit Ollies Hilfe – dadurch getötet, dass sie die Hämo-Öl-Ventile an ihren Hinterköpfen geöffnet und mit einer eben aus dem Labor gestohlenen Spritze 50 cm 3 Luft in das Ventil gespritzt hatte.
Jasmine war unverletzt. Ollie blutete, jetzt schon zögernder, aus Hals und Arm. Sie starrten auf die zahllosen Menschen, die sie aus den Käfigen an den Wänden anglotzten. Hager, tief verängstigt, eingefallen, starrten die Gefangenen wie alptraumhafte Gestalten aus ihren Zellen heraus. Ollie konnte sie nicht lange ansehen. Sie erinnerten ihn zu sehr an ihn selbst.
Jasmine betrachtete sie mit grimmiger Miene; Josh war nicht unter ihnen.
Sie durchsuchte die Leichen der Bewacher, konnte aber nirgends Zellenschlüssel finden. Manche Gefangene streckten die Hände zu den Gittern hinaus; keiner sagte etwas.
»Viel Zeit bleibt uns nicht mehr«, sagte Jasmine. »Wir müssen unbedingt …«
»Wir müssen Josh finden.«
»Ich glaube nicht, dass er hier ist, Ollie. Ich glaube, wir sollten wieder gehen. Wir können später einen neuen Plan machen.«
Er sah sie bitter an. Es tat gut, Vampire zu töten, aber seinen Bruder zu finden, war wichtiger. Sie liefen hinaus in den Korridor, schlossen die Tür hinter sich und kehrten vorsichtig zu ihrem Ausgangspunkt zurück.
Sie erreichten die Labors ohne weiteren Zwischenfall. Erst als sie fast schon am Saal der Vereinigung waren, hörten sie die Vampirpatrouille.
»Irgendwo im Sektor Q«, tönte eine kräftige Stimme im Nebengang. »Elektrische Entladung.«
»Wahrscheinlich ein Kurzschluss«, sagte eine zweite Stimme.
»Oder eine verirrte Kanalratte.«
Ollie sah Jasmine an.
»Sie sind unterwegs zum Saal«, flüsterte er.
»Schwarzwind«, entfuhr es ihr.
Sie hasteten weiter. Die Tür zum Saal der Vereinigung stand offen. Durch den Spalt konnten sie einen Trupp von vier Vampiren und zwei Neurowesen sehen, die eben den immer noch bewusstlosen Schwarzwind entdeckt hatten.
»Du musst fliehen«, flüsterte Ollie. »Hol Hilfe.«
Sie nickte. Bevor sie noch etwas sagen konnte, sprang er in den Saal. Er tötete zwei Vampire, bevor die anderen sich fassten. Jasmine war hinter ihm und brach am ersten Neurowesen das Ventil auf.
Durch das Getümmel wurde Schwarzwind wach. Er schlang schaudernd die Arme um die Beine des anderen Neuromenschen und begann zu heulen.
»Schließ mich an, ich bitte dich.« Er kreischte und schluchzte und geriet allen anderen zwischen die Beine.
Ollie rang mit einem Vampir, während der zweite von hinten auf ihn einschlug. Er begann in den Knien einzuknicken. Jasmine tötete endlich ihren Gegner, sah aber, dass der zweite Neuromann Schwarzwind in einen anderen Raum zerrte.
Sie nahm wahr, wie Ollie niedersank. Sie konnte nicht zulassen, dass Schwarzwind lebend gefasst wurde. Man brauchte ihn nur an das Gehirn der Königin anzuschließen, um unbehinderten Zugang zu allem zu haben, was er wusste – die Lage von Tunnel 22 ebenso wie der Höhlen, wo Buchleute und Angestöpselte waren, alle ihre Pläne und Geheimnisse. Sie durfte dieses Wissen nicht in die Hände des Gegners fallen lassen.
Sie richtete den Finger auf den Neuromann und löste die Napalmfackel darin aus. Die Flamme schoss durch den Raum und setzte die Plastikhaut des Neuromanns in Brand. Er ließ Schwarzwind auf den Boden fallen. Jasmine fuhr mit ausgestreckter Hand herum und zielte mit dem Rest des Napalmfeuers auf die Vampire, die Ollie zu erdrosseln versuchten. Die zuckende Flamme trieb den einen zurück, aber der andere wurde nur um so wilder.
Jasmine warf sich den halb bewusstlosen Schwarzwind über die Schulter, stürzte durch die Tür ins Gemach der Königin, knallte sie hinter sich zu. Der Lärm weckte die Königin, die fünfzehn Meter entfernt war.
»Was ist da?« murmelte die nur halb erwachte Monarchin.
Jasmine beachtete sie nicht und hetzte zum Schacht. Sie hielt Schwarzwind mühsam fest, stieg über die Kante und begann mit dem langen Abstieg. Als sie den Boden erreichte, begannen die Wachen von oben Gegenstände hinunterzuwerfen.
Im Saal der Vereinigung hielten zwei Vampire Ollie fest und drückten ihn an die Wand, während ein dritter ihn schlug und biss.
In einer Ecke kauerte Isis und beobachtete alles, unsichtbar wie ein Schatten auf der dunklen Seite
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