Neues Glück für Gisela
Hallo, Tommi!“ Plötzlich war von dem nicht mehr zu sehen als ein Paar zappelnde Beine, der Rest steckte in einem Schneehaufen.
Tommi mußte herausgefischt, abgebürstet und getröstet werden, und das Gespräch zwischen Gisela und Rolf wurde nicht wieder aufgenommen.
Beim Mittagstisch blickte Gisela die lange Reihe der Bubengesichter hinunter, und plötzlich errötete sie.
„Du errötest wie eine Siebzehnjährige“, lächelte Willi.
„Und weißt du, worüber ich erröte? Über meine grenzenlose Dummheit. Ich sehe mir diese gesunden, frischen und munteren Buben an und denke daran, daß ich einmal hierhergerannt bin, mit Weinen im Hals und…“
„… und zornbebender Stimme…“ fügte Willi hinzu.
„… und voller Mitleid mit den armen, mißbrauchten und halbverhungerten Heimkindern…“
Gisela senkte nicht die Stimme, sie wußte, daß man in diesem Haus frei von allem reden konnte. Selbst die vielleicht etwas peinlichen Dinge wurden nie verschwiegen, im Gegenteil, die Tatsache, daß diese Jungen Heimkinder waren, wurde besprochen und auf eine nüchterne, vernünftige Weise zur Grundlage aller Zukunftspläne gemacht.
Die Jungen hörten, was sie sagte, und ein brüllendes Gelächter empfing das Geständnis.
„Wir haben es so schlecht“, sagte Per, „wir kriegen nie etwas zu essen…“
„Und das, was du bekommst, behältst du augenscheinlich so lange wie möglich im Mund, um es ganz auszunützen“, sagte Willi trocken. Per hatte schon wieder mit vollem Mund gesprochen.
Alle waren nach dem Mittagessen müde. Die Jungen suchten sich eine ruhige Beschäftigung mit Büchern oder Spielen im Wohnzimmer oder Spielzimmer, und Gisela und Willi tranken zusammen eine Tasse Kaffee im Büro. Es ergab sich ganz von selbst, daß sie das bei Tisch begonnene Gespräch fortsetzten.
„Weißt du“, sagte Gisela nachdenklich, „ich bin mir völlig klar darüber, daß du die Riesenaufgabe, für diese Jungen ein Heim zu schaffen, gelöst hast. Ein wirkliches Heim, mit Zusammengehörigkeitsgefühl, mit Sicherheit. Aber trotzdem glaube ich, daß noch viele Probleme für dich auftauchen, wenn es gilt, ihnen ein normales Leben zu ermöglichen.“
„Viele?“ sagte Willi. „Unzählige. Absolut unzählige. Woran dachtest du denn im besonderen?“
„Zum Beispiel, wie kannst du sie lehren, mit Geld umzugehen? Eines schönen Tages müssen sie in die Welt hinaus und auf eigenen Füßen stehen, da müssen sie doch einen Begriff vom Geld haben.“
„Den kriegen sie auch“, sagte Willi. „Über dieses Problem habe ich lange nachgedacht. Die Kleinen gehen manchmal kleine Einkäufe beim Kaufmann im Dorf machen. Sie kaufen keine großen Dinge, aber sie bekommen doch einen Begriff dafür, daß man für alles bezahlen muß, und sie müssen auch genau abrechnen, wenn sie heimkommen. Die Großen helfen mir bei der Monatsabrechnung, und da kann ich dir versichern, daß sie dabei eine gründliche Einsicht in finanzielle Probleme bekommen.
Aber noch etwas anderes ist schwierig: die Isolierung hier. Es ist unnatürlich, daß eine Familie, und wenn sie noch so harmonisch ist, keinen Umgang mit anderen Menschen hat. Und dieses Problem ist ziemlich unlösbar. Das heißt, die beiden letzten Sommer haben wir mit etwas Neuem angefangen. Die größten Buben haben hie und da Arbeit angenommen und sich etwas Geld erspart, nicht viel, aber doch genügend, daß sie eine kleine Sommerreise damit unternehmen konnten. Wir besitzen hier drei Fahrräder, sie wurden für einen Pappenstiel angeschafft, und so sahen sie auch aus. Aber wir haben sie repariert. Die großen Jungen ziehen also immer zu dritt damit auf Ferientour, sie haben ein Zelt, Geld fürs Essen und fahren also so herum. Ich helfe ihnen die Reiseroute festzulegen, und auf diese Weise kommen sie ein wenig außerhalb Siebeneichens und Hoyfoss’. Sie treffen andere junge Menschen, übernachten oft in Jugendherbergen, kommen in Kontakt mit Buben und Mädchen vom In- und Ausland, und wir haben ausgemacht, daß sie auf diesen Ferienfahrten niemand davon erzählen sollen, daß sie Kinder aus einem Knabenheim sind. Denn du weißt doch, wie die Leute sind, und die Jungen wollen die lästige Neugier und das Mitleid los sein.“
Gisela hörte ihm mit großen Augen zu. „Willi, du bist wirklich phantastisch erfinderisch.“
Er lachte. „Ach, wenn ich nur beim Erfinden noch mehr finden könnte. Weißt du, es ist schon schlimm, wenn man sechzehnjährige Jungen in eine Welt
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