Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity
sagte ich zu Roche. »Kommen Sie direkt aus London?«
»Ja, ja«, schnaufte Roche. »Ich bin direkt hierher gefahren, in der Hoffnung, Sie anzutreffen. Ich wollte, dass Sie die Neuigkeiten zuerst erfahren, und ich bin immer noch nicht sicher, wie ich es meinen Schwestern beibringen soll – und natürlich meiner Nichte! Ichschätze, sie muss es als Allererste erfahren, ohne Verzögerung! Es wäre viel besser, wenn sie … ja. Ja, das ist es. Sie darf es jetzt noch nicht erfahren. Wir müssen einen besseren Zeitpunkt abwarten … als könnte es den geben … Oh du gütiger Himmel …« Er rieb sich erneut mit dem Taschentuch über die Stirn. »Meine Schwestern … sie werden sich furchtbar aufregen. Sie führen ein ruhiges, beschauliches Leben, wissen Sie? Es wird einfach zu viel für sie sein, ganz bestimmt wird es das!«
Es – was auch immer es sein mochte – war augenscheinlich auch zu viel für Mr. Roche; ich hoffte, dass er keinen Herzanfall erleiden würde – der einzige Arzt in erreichbarer Nähe war Dr. Barton. Außer Lefebre, heißt das. Er musste sich mit mehr Dingen in der Medizin auskennen als nur mit dem, was in den Köpfen von Menschen passierte.
»Erzählen Sie mir einfach, was passiert ist, Sir«, ermunterte ich ihn. »Dann werden wir sehen, was am besten zu tun ist.«
Wir wurden unterbrochen, bevor er anfangen konnte, denn ein Klopfen an der Tür kündigte den Tee an. Morris nahm Mrs. Garvey das Tablett ab und schloss die Tür vor ihrer Nase wieder, bevor sie an ihm vorbei ins Zimmer sehen konnte.
»Es geht um den Mann meiner Nichte, James Craven!« Roche griff mit zitternden Fingern nach seiner Teetasse und verschüttete Tee.
»Er ist doch wohl nicht tot?«, fragte ich in scharfem Ton.
Es hätte mich nicht erstaunt, genau diese Nachricht zu hören – die Sterblichkeit von Europäern im Fernen Osten war sehr hoch. Doch falls dies der Fall war, dann überraschte mich Roches extremer Stress. Er musste die Möglichkeit einkalkuliert haben, als er den jungen Mann nach China geschickt hatte. Vielleicht hatte er insgeheim sogar gehofft, dass er dort sterben würde, wie ich mir bereits überlegt hatte. (Polizeiarbeit macht einen Mann zum Zyniker.) Und jetzt, nachdem der Fall tatsächlich eingetreten war, verspürte Roche unerwartete Gewissensbisse. Mehr noch, er fürchtete sich vor dem Augenblick, an dem er es der jungen Witwe sagen musste.
Doch Roche schüttelte den Kopf. »Nein, nein …«, sagte er verzagt.
Ich muss bei seinem Tonfall die Augenbrauen gehoben haben,denn er fuhr hastig fort: »Ich muss gestehen, Inspector Ross, ganz unter uns – es wäre besser für uns alle hier, wenn es so wäre. Da haben Sie’s! Es ist grausam, so etwas zu sagen, barbarisch, und ich würde es über keine andere Menschenseele sagen. Doch dieser junge Mann hat von Anfang an ständig nur Ärger gemacht! Ich hatte wirklich gehofft, dass er mir aus den Füßen wäre, wenn ich ihn in den Fernen Osten schicke. Aber nein …«
Er zögerte, als wäre der Vortrag zu viel gewesen für ihn, und es gelang ihm, einen Schluck von seinem Tee zu trinken.
Inzwischen war ich fast genauso aufgewühlt wie er. Wenn Craven nicht tot war, was dann? Ich wollte ihn anbrüllen: Was denn, Mann? Reden Sie endlich! , doch was ich dann tatsächlich sagte, war: »Lassen Sie sich Zeit, Sir. Beruhigen Sie sich.«
Er stellte die Tasse ab und unternahm eine sichtliche Anstrengung, um sich zusammenzureißen. »Ich habe Nachricht von unserem Agenten erhalten. James Craven ist vor mehr als zwölf Wochen verschwunden, und seither hat niemand etwas von ihm gehört oder gesehen! Die ersten drei Tage wusste der Agent nichts davon. Craven war zwei Nächte nicht nach Hause gekommen, doch das war schon häufiger passiert. Der Diener, der ein Auge auf ihn haben sollte, dachte sich zunächst nichts dabei. Als Craven in der dritten Nacht ebenfalls nicht nach Hause kam, wurde er nervös und meldete das Verschwinden seines Herrn.
Unser Agent stellte unverzüglich Nachforschungen an. Er informierte mich nicht sogleich, weil er keine unnötige Aufregung verursachen wollte. Er befand sich in einem Dilemma, verstehen Sie, denn er war sich durchaus der Möglichkeit eines Skandals bewusst, den er vermeiden wollte. Er dachte, dass Craven bei einer Frau untergeschlüpft war. Er stellte diskrete Fragen bei den dortigen Europäern, doch keiner wusste etwas. Also fing er ein wenig offener an zu fragen. Niemand wusste, wo Craven abgeblieben war.
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