Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity
erwartet wird, nämlich, dass sie sich niemals wieder in ihrer Heimat blicken lassen.«
Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich all das verdaut hatte. »Mr. Charles Roche hat mir erzählt, dass Mr. Craven irgendwann nach London zum Firmensitz zurückkehren würde, sobald er das Teegeschäft gelernt hätte«, sagte ich schließlich langsam.
»Das ist die Geschichte, die für die Öffentlichkeit aufrechterhalten wird, Miss Martin. Aber nein, seien Sie versichert, dass Mr. Craven niemals irgendeine Funktion in der Firma der Roches ausüben wird. Er darf seine Zeit in Kanton vertändeln, wo es bereits einen fähigen Agenten der Firma gibt. Doch man wird ihm niemals gestatten, eine wichtige Entscheidung zu treffen, und schon gar nicht wird man zulassen, dass er mit den Fingern in die Nähe der Kassen kommt.«
Ich muss ihn überrascht angestarrt haben wegen der Derbheit dieser letzten Worte. Lefebre verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Bitte verzeihen Sie. Es ist mir gelungen, Sie zu schockieren.«
»Nein, nein«, sagte ich. »Aber das klingt alles sehr bedrückend. Lucy glaubt …« Ich brach ab, weil ich im Begriff stand zu tun, was ichnach meinen eigenen Worten niemals tun würde: ihm etwas vom Inhalt meiner Unterhaltungen mit Lucy zu verraten.
Doch ich musste ihm nichts verraten. Er schüttelte den Kopf. »Sie glaubt, dass er sie liebt und dass er nach England zurückkehren wird, um bei ihr zu sein. Doch nein, das wird er nicht. Sie wird ihn niemals wiedersehen, und ich bezweifle, dass sie auch nur von ihm hört. Wenn er sich ein Jota aus ihr gemacht hätte, hätte er sich niemals fortschicken lassen, ganz sicher nicht in eine für Europäer so ungesunde Gegend. Der Blutzoll ist sehr hoch. Das ist der Grund, aus dem üblicherweise allein stehende Männer in den Fernen Osten geschickt werden. Craven hätte sich aus diesem Grund rundheraus weigern können, doch dann hätte er kein Geld bekommen und kein bequemes Leben führen können, wie er das sah. Wäre er hiergeblieben, bei seiner Frau, hätte Roche verlangt, dass ihre Haushaltsrechnungen an ihn übersandt würden zur Einsichtnahme und Begleichung, und das wäre alles gewesen. Craven hätte Rechenschaft über jede noch so kleine finanzielle Transaktion ablegen müssen.
Lucys eigenes Geld stammt aus ihrem geerbten Anteil am Geschäft und wird von einem Fonds verwaltet, müssen Sie wissen. Sämtliche Entnahmen müssen von ihrem Onkel Charles und den übrigen Anteilseignern, hauptsächlich den beiden Schwestern von Charles, welche als Treuhänder agieren, gebilligt werden. So wurde es arrangiert, bevor Lucys Eltern zu ihrer unglückseligen Reise aufbrachen. Sie hatten das Risiko bedacht, dass ihre Tochter als Waise zurückbleiben würde. Das Arrangement kann nicht aufgehoben oder verändert werden, bevor Lucy einundzwanzig ist, ob sie vorher heiratet oder nicht. Der Grund ist, dass die wirtschaftlichen Interessen des Hauses Roche auf diese Weise geschützt werden sollten. Wie sich herausgestellt hat, schützt es außerdem Lucys Vermögen vor Cravens Ambitionen, zumindest für den Augenblick. Er war alles andere als erfreut, als er erfuhr, dass es keine Guineen für ihn geben würde, die er sich in die Taschen stopfen konnte, um damit zu klimpern und landauf, landab an Spieltischen anzugeben. Ich schätze, er war überrascht, als er merkte, dass er ganz geschickt ausgetrickst worden war. Doch er akzeptierteohne allzu lauten Protest, als er sah, dass er nicht mehr bekommen würde, und machte sich auf den Weg ins Ausland.«
Lefebre drehte sich um und blickte Lucy hinterher. »Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Mensch sich in die Phantasie flüchtet, wenn die Wahrheit unerträglich wird. Ich habe mehr als einen derartigen Fall erlebt.«
Bevor ich etwas darauf antworten konnte, fügte er flink hinzu: »Aber Greenaway wird sich fragen, wo ich so lange bleibe. Wir sehen uns später, Miss Martin.«
Mit diesen Worten berührte er seine Hutkrempe und ging in scharfem Schritt davon.
7. KAPITEL
Elizabeth Martin
Ich war nicht sicher, was ich als Nächstes tun sollte. Möglicherweise war Lucy ins Haus gerannt. Falls ja, hatte sie sich bestimmt in ihrem Zimmer eingesperrt. Sie würde mir nicht öffnen, bevor sie sich nicht zumindest ein wenig beruhigt hatte.
Doch sie wusste, dass der Rattenfänger an jenem Morgen im Haus war. Sie würde nicht riskieren, ihm zu begegnen oder – in ihrem gegenwärtigen Zustand – ihren beiden Tanten. Wo also konnte sie sonst
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