Neugier und Übermut (German Edition)
Keramiken von einem mir nicht bekannten Künstler Léon Fargues im Stil des Art déco verkleidet, die Decke malte Charly Garrey mit afrikanischen Motiven aus. Es war wohl das bedeutendste Werk von Charly Garrey, denn heute kann man seine Bilder bei Versteigerungen schon für ein paar Hundert Euro erwerben.
Im »Lipp« ist es wichtig, wo man sitzt. Touristen werden die Treppe hoch nach oben, nach »Sibirien«, geschickt. Je weiter vorn man im unteren Saal platziert wird, desto höher die Anerkennung durch den Maître. Man kann sich seine Gunst aber auch mit regelmäßig unauffällig in die Hand gedrückten Scheinen erkaufen. Ihr Wert sollte nur nicht zu klein ausfallen.
Vorn saßen immer François Mitterrand, Camus oder Sartre, Proust oder Saint-Exupéry, vorn haben Jack Nicholson und Sofia Coppola, Sandrine Kiberlain und Benjamin Biolay ihren Tisch.
Und um ehrlich zu sein: Man geht hier nicht wegen der besonders guten Küche hin, man isst vielmehr Sauerkraut mit Schweinsfuß oder Ähnliches, alte Elsässische Küche.
Roland Dumas kam zehn Minuten nach uns. Aber er kam nicht allein. Er stellte uns seine junge, vielleicht dreißig Jahre alte Begleiterin vor. Eine hübsche Russin, die sich auf Englisch mit uns unterhielt. Dumas war Ende achtzig, und doch verfallen Frauen jeden Alters immer noch seinem Charme.
Roland Dumas, der von Hans-Dietrich Genscher erfahren hatte, dass ich auch Kriminalromane schreibe, die in Paris spielen, hatte mich gebeten, ihm einen mitzubringen. Damit stand ich vor einem kleinen Dilemma. Denn in allen meinen Krimis geht es um Korruption bei Parteien oder Politikern. Sie sind der französischen Wirklichkeit entlehnt, und in einem meiner Romane erwähne ich auch ganz nebenbei den Fall, in den Dumas persönlich verwickelt war. Und ich nenne ihn bei seinem vollen Namen. Natürlich suchte ich ein anderes Buch für ihn aus.
Als ich Dumas nun meinen Kriminalroman überreichte und ihm erklärte, die Hauptfigur sei immer dieselbe: Jacques Ricou, ein unerbittlicher Untersuchungsrichter, da lachte er fast verzweifelt auf.
Wir wussten beide, dass die Macht der Untersuchungsrichter in Frankreich immens ist. Sie allein können entscheiden, ob sie jemanden verhaften oder zumindest seine Räume durchsuchen lassen.
»Mit denen habe ich meine eigenen Erfahrungen gemacht. Das sind Hyänen!« Er meinte besonders Eva Joly, einst eine Un- tersuchungsrichterin, die besonders streng gegen Politiker und Wirtschaftsbosse vorging und den Fall der Schmiergeldzahlungen der Ölfirma Elf-Aquitaine aufgerollt hatte. Eva Joly wurde 2012 für die Grünen als Kandidatin für das Amt des Präsidenten aufgestellt – und schnitt peinlich schlecht ab. Sie ist gebürtige Norwegerin und spricht französisch mit einem harten Akzent. Eva Joly hatte die Räume von Dumas wegen eines Korruptionsvorwurfs durchsuchen lassen. Jahre später wurde er in diesem Fall freigesprochen.
Dumas blätterte in dem Kriminalroman und sagte: »Komme ich wenigstens auch drin vor?«
»Nein, natürlich nicht!«
»Schade.«
Kennengelernt hatte ich Roland Dumas mehr als 25 Jahre zuvor. Ich erinnere mich genau an den Tag.
Es war der 8. Dezember 1984. Ein Samstag.
Damals war Roland Dumas als Testamentsvollstrecker von Picasso und Rechtsanwalt anderer Kulturgrößen Frankreichs bekannter denn als Politiker. François Mitterrand hatte Dumas, der auch sein Anwalt gewesen war, zum Europaminister ernannt, ein unbedeutender, dem Außenminister untergeordneter Job. Aber ein gewiefter alter Kollege, Ernst Weisenfeld, hatte mir ins Ohr geflüstert, Dumas werde sicher eines Tages Außenminister. Da wäre es klug, jetzt schon ein Fernsehporträt über ihn zu drehen.
Ernst Weisenfeld, ein journalistisches Urgestein, der schon über dreißig Jahre aus Paris berichtete, der für die ARD Anfang der sechziger Jahre das berühmte Studio Bonn gegründet hatte, der mit der Genauigkeit eines Historikers arbeitete, hatte mich dann bald mit einem Vertrauten von Dumas zusammengebracht. Bei einem Mittagessen. Wie es in Paris üblich ist. Dieser Vertraute hieß Robert Boulay und war jahrelang Korrespondent bei dem französischen Radiosender RTL gewesen. Jetzt beriet er Dumas. Manchmal wusste Boulay als Einziger, wo man den, gelegentlich nachmittags verschwundenen, Europaminister in dringenden Fällen finden konnte. Bei welcher Dame.
Im Laufe der Jahre würde Boulay mein »Agent« im Büro des Ministers werden.
Boulay schlug vor, dass ich mit meinem Kamerateam am
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