Neugier und Übermut (German Edition)
Jeden Monat schickte jeder Minister den Leiter seines Büros zum Büro des Premierministers. Dort erhielten sie eine erhebliche Summe Bargelds. Besonders groß waren die Summen für die drei Ministerien, Verteidigung, Inneres und Äußeres. Mein Büroleiter hat das Geld dann weiterverteilt. Etwa an die Sekretärinnen in meiner Umgebung, die Überstunden machten und schlecht bezahlt wurden. Sie hatten Anrecht auf einen Umschlag. Auch der Büroleiter hatte ein Anrecht auf einen Umschlag mit Inhalt, aber auf seinem Niveau. Dessen Vertreter erhielt auch einen Umschlag. Und mir, dem Minister, hat man auch Geld für meine Bedürfnisse gebracht. So ist das. Es war ein geheimes Ritual in der Republik. Jospin wurde Premierminister und hat gesagt, wir streichen die geheimen Zahlungen. Wir machen das jetzt offiziell. Wissen Sie, man nannte es ›das Geld, das den Tag nicht sehen darf‹. Jetzt ist es offiziell, das heißt aber nur, dass man das Geld nun versteuern muss.«
In der französischen Öffentlichkeit war Roland Dumas zur Zeit unseres Essens im »Lipp« gerade heftig angefeindet worden. Zusammen mit dem umstrittenen Anwalt Jacques Vergès, auch Advokat des Teufels genannt, hatte er die juristische Vertretung des abgewählten Präsidenten der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo übernommen. Gbagbo wollte nicht aus dem Amt weichen. Vergès hatte Mitglieder der RAF in Paris verteidigt, den Terroristen Carlos und auch den SS-Mann Klaus Barbie. Er galt als höchst intelligent und skrupellos. In seiner Biographie klafft eine Lücke von acht Jahren. Keiner weiß, wohin er zwischen 1970 und 1978 verschwunden war. Selbst die französischen Geheimdienste konnten es nicht erklären.
»Warum haben Sie sich denn mit diesem schrecklichen Vergès zusammengetan?«, fragte ich Roland Dumas. Ich ahnte es zwar: Wahrscheinlich zahlte der afrikanische Präsident hohe Honorare bar.
»Ach, Vergès ist ein netter Kerl«, antwortete Dumas. »Ich kenne ihn aus der Zeit des Algerienkrieges. Als Abgeordneter habe ich für die Unabhängigkeit Algeriens gekämpft – lange vor de Gaulle. Ich habe täglich Leute verteidigt, die mit dem Freiheitskampf zu tun hatten. Und Vergès und ich befanden uns auf einer Linie.«
Vergès heiratete sogar eine als Bombenlegerin angeklagte Algerierin, die er zuvor verteidigt hatte.
Und dann erzählte Dumas, dass er wegen seiner Haltung zur Unabhängigkeit Algeriens schließlich auch der Anwalt von Picasso wurde.
»Eines Tages wurden der Maler André Masson und sein Sohn verhaftet. Sie hatten französische Deserteure in die Schweiz geschmuggelt. Massons Galerist war der legendäre Daniel-Henry Kahnweiler. Eines Tages ruft mich Kahnweiler an. Ich möge bei ihm vorbeikommen. Ich gehe zu ihm. Er war sehr liebenswürdig. Kahnweiler hatte einen Brief von Franco erhalten. Vom General persönlich! Franco schrieb, jetzt ist doch Frieden. Kann Picassos Bild ›Guernica‹ nicht vom MoMA in New York nach Spanien gebracht werden? Kahnweiler rief Picasso an, der bat um einen Anwalt. Kahnweiler sagte: Sie fahren morgen früh los, was ich tat. Picasso lebte damals in Mougins. Er war sehr sympathisch. Hat gesagt, kommen Sie, wir essen jetzt erst einmal einen guten Fisch. Picasso hatte damals Konflikte mit den Kindern, Probleme wegen Fälschungen, aber er sagte, das alles zähle nicht. Das Einzige, was mir im Leben wichtig ist: Das ist Guernica. Ich will nicht, dass Guernica in Spanien hängt, solange Franco lebt. Daraufhin habe ich viele Schriftsätze entworfen. Aber Picasso wollte nur einen Satz: Guernica gehört der Republik Spanien. Ich aber sagte: Solange Sie leben, wird niemand etwas dagegen einwenden. Sie bestimmen, dass Guernica in New York bleibt, und Guernica bleibt in New York. Aber an dem Tag, an dem Sie sterben, ist das anders. Sie müssen ein Testament machen.«
»Und das haben Sie dann aufgesetzt?«
»Kein Testament! Picasso rief: Nie, nie, nie. Sobald ich ein Testament mache, sterbe ich am nächsten Tag. Er war sehr komisch, hatte sehr originelle Überzeugungen. Denn das war natürlich spanischer Aberglaube. Nein, ich will kein Testament.«
»Und wie kam es zu einer Lösung?«
»Ich sagte, Sie bestimmen einen – nein, keinen Testamentsvollstrecker, das Wort war verboten – also jemanden, der nach Ihrem Tod entscheidet. Ich sagte: Ihre Frau. Nein, nein! Picasso überlegte, dann sagte er: Sie machen das. Ich war geplättet. Ich war 27 oder 30 Jahre alt. Ich habe dann in dem Schriftsatz einen genialen …«
Als
Weitere Kostenlose Bücher