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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Gaullismus – und von da konnte man ohne weiteres die Linie weiterziehen zum Mitterrandismus. Rémond berichtet von einem französischen Bauern, der zu Zeiten der Revolution gefragt wurde: »Bist du für die Republik?«, und der dann antwortete: »Natürlich bin ich für die Republik. Hauptsache Napoleon ist König!«
    Diesen Satz zitierte ich Mitterrand, und er reagierte so, wie ich es mir gewünscht hatte: »Ja, so sind sie, die Franzosen. Immer wollen sie einen König. Selbst mir wirft man ja vor, ich sei ein König, was ich natürlich nicht bin, aber so ist nun einmal Frankreich.«
    Ja, immer noch sind die Franzosen so. Und wahrscheinlich liegt auch einer der Gründe für die Niederlage von Nicolas Sarkozy bei der Wahl 2012 darin, dass er überhaupt nichts »Königliches« ausstrahlt, sondern eher wie ein neureicher Parvenu wirkt. Doch zurück zu Robert Boulay, meinem »Spion« im Büro des Außenministers Roland Dumas.
    Boulay war überzeugt von der Notwendigkeit der deutschfranzösischen Freundschaft. Sein Vater hatte in Verdun gekämpft und war von den Gräueln dieser Grabenschlacht so geprägt, dass er jeden Sonntag beim Familienessen davon erzählte, bis eines schönen Mittags sein Enkel, der siebenjährige Sohn von Robert Boulay, der ewigen Kriegserinnerungen überdrüssig, sagte: »Pourquoi t’es pas mort à Verdun? – Warum bist du denn in Verdun nicht gefallen?«
    Kurzum, für Boulay war die deutsch-französische Aussöhnung ein absolutes Muss. Das galt sogar bis hin zu kleinen Symbolen: Boulay sorgte dafür, dass deutsche Diplomaten, wenn sie zum Abschied mit einem französischen Orden ausgestattet wurden, einen Rang höher geehrt wurden als die Diplomaten anderer Länder.
    Auch Außenminister Hans-Dietrich Genscher bestimmte seine Kontaktperson zu Boulay und entsandte an die Botschaft in Paris Diplomaten, von deren Fähigkeiten er in besonderem Maße überzeugt war, schließlich hatten sie früher in seinem Ministerbüro gearbeitet. Ihnen oblag der direkte Kontakt zu Robert Boulay.
    Eines Abends rief mich Boulay im Büro an.
    Das war während der stürmischen Zeit des Zusammenbruchs der DDR. Sowohl im Ausland wie auch in der Bundesrepublik hatten viele Politiker unterschiedliche Auffassungen zu dem Thema. Einer der Stolpersteine für die Franzosen war die Tatsache, dass der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl die Oder- Neiße-Grenze nicht anerkennen wollte. Für die Franzosen war das heikel. Denn 1939 hatte Frankreich den Polen eine Garantie für die Westgrenze gegeben, dem Deutschen Reich nach dem Einmarsch der Wehrmacht den Krieg erklärt, aber keinen Krieg geführt. Das wiederum haben die Polen den Franzosen nie verziehen. Jetzt also galt es, bei der Westgrenze Polens hart zu bleiben. Auch die Bonner Regierung war in diesem Punkt gespalten. Kohl, mit Blick auf die Wahlen im Dezember 1990, wollte die Vertriebenen nicht vergraulen und weigerte sich, die Oder-Neiße-Linie als Grenze anzuerkennen. Dagegen hatte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, wie auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker, dies schon öffentlich getan. Aber Frankreich ging es um das Wort des Kanzlers, des Regierungschefs.
    Es wird so gegen halb sieben gewesen sein, als mich Robert Boulay erreichte. Er sagte: »Dumas und Genscher haben eben eine Stunde lang telefoniert. Dann hat Genscher gesagt, ich steige eben mal ins Flugzeug und komme rüber.«
    Ich rief sofort in der Deutschen Botschaft an. Nein, man wisse nichts von Genschers Flug nach Paris. Ich rief in der Presseabteilung des Quai d’Orsay an. Nein, es sei nichts bekannt. Ich überlegte und kam zu dem Schluss, dass Genscher schon in Paris sein müsse. Sofort fuhr ich mit Kameramann und Toningenieur zum Quai d’Orsay, wo ich im Hof meinem »Spion« begegnete, der dort mit einem Diplomaten der deutschen Botschaft stand. Um Boulay nicht zu verraten, sagte ich: »Ich habe eben aus Bonn erfahren, dass Genscher hier ist. Wir brauchen für einen Brennpunkt morgen Abend einige Bilder von dem Treffen.«
    Man informierte Genscher, wir durften die beiden Außenminister im vertrauten Gespräch abfilmen. Sie sprachen ohne Dolmetscher, deutsch.
    Als das Team abgedreht hatte, machte Genscher eine Handbewegung, deutete auf einen Stuhl und sagte zu mir: »Setzen Sie sich doch.« So wurde ich Zeuge des Gesprächs. Und es verlief hochinteressant für mich. Zum einen war ich erstaunt, mit was für hässlichen »Spitznamen« andere Politiker, wie etwa Kohl, bedacht wurden. Zum

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