Neugier und Übermut (German Edition)
er dieses Wort »genial« aussprach, bemerkte ich in seiner Mimik einen besonderen Stolz, in seinen Augen ein Glänzen.
»… einen genialen Satz formuliert, das ist mir im Leben nicht häufig passiert: Erst wenn Spanien wieder frei ist, kann das Bild heimreisen. Nach dem Tod Picassos 1973 und dem von Franco 1975 hat mich der spanische König gebeten zu kommen. Ich wollte aber nicht, dass das Bild sofort nach Spanien gebracht werde, und habe ihm gesagt, Sie haben da ja noch Probleme mit der Armee.«
Noch 1981 versuchte die spanische Armee einen Putsch. Doch in jenem Jahr reiste schließlich auch Picassos Guernica nach Spanien.
In den privaten Räumen von Dumas, in seiner Wohnung auf der Île Saint Louis, hatte ich Bilder und Zeichnungen von Masson, von Giacometti und anderen berühmten Künstlern gesehen. Deshalb fragte ich ihn, ob er sich als Sammler fühlte.
»Ja, ich habe Bilder von Picasso, hauptsächlich eine Zeichnung von mir. Mein Porträt. Eines Tages sagt er mir: Sie sind schön. Lassen Sie sich einen Bart wachsen, ich male Ihr Porträt. Das lässt man sich nicht zweimal sagen. Ich habe mir den Bart wachsen lassen. Und er hat ein Bleistiftporträt von mir gezeichnet. Er nannte mich nach dem Schriftsteller Dumas scherzhaft: Alexandre. Und deshalb heißt die Widmung: ›Für Alexandre, der nicht Alexandre ist, meinem Freund Roland‹.«
»Ich erinnere mich an eine Bleistiftzeichnung eines Kopfes von Giacometti bei Ihnen im Arbeitszimmer. Wer ist das?«
»Jean Genet. Den habe ich auch vertreten.«
»Was war das für ein Mann?«
»Der rief mich eines Tages an. Jean Genet. Ja? Ich komme nächste Woche nach Paris, kann ich Sie sehen? Er kam abends um acht. Ich war ganz allein in meinem Büro. Hatte das Licht an. Es klingelte an der Tür. Ich machte auf. Ein kleiner Mann. Mit seiner gebrochenen Nase. Seine Gaunerfresse. Eine Lederjacke. Jean Genet. Kommen Sie rein. Ich war sehr beeindruckt. Ich möchte Sie zum Anwalt nehmen. Ich habe da Leute, die mich verarschen. Ich schaute ihn an. Er schaute mich an. Ich sagte: Kann ich Ihnen eine Frage stellen? Ja sicher. Ich sagte: Warum haben Sie mich ausgesucht? Er lächelte verschmitzt. Soll ich Ihnen das sagen? Sie hatten am Telefon einen angenehmen meridionalen Akzent. Das hat mir gefallen.
Ich war dann zehn Jahre sein Anwalt. Als er in einem kleinen Hotel in Paris im Sterben lag, hat mich morgens das Zimmermädchen angerufen. Als ich zum Hotel kam, hatten sie ihn schon abgeholt. Ins Leichenschauhaus. Da bin ich hin. Und habe die Nichtigkeit des menschlichen Lebens kennengelernt. Da ruft dann einer durch die Gänge:
›Hast du einen Genet bei dir?‹
›Nein, ich habe keinen Genet. Aber frag Charles!‹
›Charles, hast du einen Genet?‹
›Ja, Moment, ich schau mal nach. Ja, ich habe einen.‹
›Gut, dann schick ich dir einen Kunden.‹
Das bin ich, der Kunde. Dann warte ich eine Viertelstunde. In dem großen Raum sind nur Schubladen. Kühlschränke. Und dann zogen sie Genet raus. Er lag da, nackt.
›Was wollen Sie?‹
›Wissen, woran er gestorben ist.‹
Dann haben wir die Papiere gewälzt. Er war mir ein Freund geworden. Also nicht, dass Sie das jetzt falsch verstehen …«
Dumas wollte sichergehen, dass ich nicht vermutete, er sei ein Liebhaber des homosexuellen Genet gewesen.
»Ich mochte ihn. Er war ein unendlich mutiger Kerl. Mit einem eisernen Willen.
Und dann lag er da zwischen fünfzig anderen Leichen. Clochards, Leute, die sich in der Seine ertränkt hatten, die bei einer Schlägerei getötet worden waren. Mit seinem Tod trat Genet in die Welt ein, in der er hatte leben wollen. Die er vertreten hatte. Ich bin gegangen.«
Ich fragte ihn nach Robert Boulay, der einst sein engster Vertrauter im Ministerbüro gewesen war – und mein »Spion«. Boulay war inzwischen gestorben. Wenn ich früher als Korrespondent der ARD in Paris Zugang zu dem damaligen Außenminister Roland Dumas haben wollte, habe ich Boulay kontaktiert. Anders ging es nicht. Der Pressesprecher des Quai d’Orsay war zwar mein Freund Jacques Rummelhardt, später Botschafter in vielen Ländern der Welt, und sein Vertreter Maurice Gourdault-Montagne, heute herausragender Botschafter Frankreichs in Deutschland, ein Mann mit einer glänzenden Karriere, der außenpolitischer Berater im Palais de l’Elysée zu Zeiten von Präsident Jacques Chirac war, doch sie antworteten auf meine Anfragen nach einem Interview mit Dumas meist mit non, der Minister habe keine Zeit. Dann rief
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