Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
Vom Netzwerk:
führte ich der Redaktion vor. Alle lachten. Claus-Hinrich Casdorff, der viel Humor besaß, sagte: »Das führen wir dem Chefredakteur vor, wenn er die Sendung abnimmt« – alle Berichte von Monitor mussten, bevor sie gesendet werden konnten, vom Chefredakteur abgesegnet werden. Der Chef war damals der CDU-Mann Franz Wördemann. Dieser Posten wurde beim WDR immer mit einem CDUMann besetzt. So sah es die politische »Farbenlehre« vor. Als nun Wördemann zur Abnahme der Sendung im Schneideraum erschien, führte ihm Casdorff zum Schluss meinen kleinen Streifen vor. Der Chef verzog keine Miene, dann sagte er: »Das finde ich zwar nicht komisch. Aber wenn Sie es senden wollen, dann meinetwegen!« Er hatte den Witz nicht verstanden. Und den Clip wollte nun wirklich keiner von uns senden.

    Die Arbeit bei Monitor begann mich zu faszinieren. Wir waren damals eine junge Truppe, alle mehr oder weniger Dilettanten. Und noch etwas: Wir waren nur Männer. Eine Frau als Redaktionsmitglied kam gar nicht infrage. Bei Panorama war das anders, dort durfte Luc Jochimsen Stücke machen. Sie war eine der ersten Frauen, die in der politischen Berichterstattung in der ARD ernst genommen wurde und schließlich auch Karriere machte als Auslandskorrespondentin in London und Fernseh- Chefredakteurin beim Hessischen Rundfunk.
    Bei Monitor hat Claus-Hinrich Casdorff uns Männern das Handwerk beigebracht. Und je mehr man von einem Handwerk versteht, desto mehr kann es einen faszinieren. Dass ich Journalist wurde, habe ich wahrscheinlich Claus-Hinrich Casdorff zu verdanken.
    Casdorff war ein liberaler Hamburger, der als siebzehnjähriger Schüler 1942 Flugblätter gegen die Nazis verteilt hatte, von der Gestapo wegen »staatsfeindlicher Umtriebe« ins Zuchthaus gesteckt und dann in eine Strafkompanie versetzt worden war. An der Ostfront war er schwer verletzt worden. Er erzählte uns, dass ihm ein alter Soldat das Leben gerettet habe. Der habe Casdorff den für ihn vorgesehenen Platz im Sanitätstransport überlassen mit den Worten: »Ich habe schon gelebt. Du hast das Leben noch vor dir.«
    Casdorff beherrschte die Kunst des Journalismus mit all ihren Feinheiten. Wenn ein Bericht für die Sendung Monitor abgedreht war, schaute er sich den Rohschnitt an und erkannte (leider) sofort die Schwachstellen, die journalistischen wie auch die dramaturgischen. Häufig genug wurden wir dann losgeschickt, um noch »nachzudrehen«. War ein Filmschnitt abgenommen, mussten wir einen Textentwurf schreiben. Casdorff hatte die Maxime ausgegeben: Für eine Minute Filmtext benötigt man zum Schreiben eine Stunde Zeit. Und hatte man den Text endlich fertiggestellt, ging man mit Herzklopfen zu ihm. Er las den Text schweigend durch. Dann legte er ihn zur Seite und sagte: »Dann wollen wir mal texten.« Und er tat, was heute wohl kaum noch jemand auf sich nimmt: Er erarbeitete zwei, drei, vier Stunden mit uns den neuen Text. Er rang im Gespräch mit uns um jedes Wort, verwarf Formulierungen, suchte mit uns nach besseren und lehrte uns so, richtig zu texten. Es dauerte zwei oder gar drei Jahre, bis Casdorff uns so weit hatte, wie er es für richtig hielt und in einem Text nur noch einige Worte änderte. Und meist verbesserte.
    Die politischen Zeiten waren aufregend. Und auch unsere Arbeit.
    Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 1969 fand ich zusammen mit dem Monitor-Kollegen Erich Potthast heraus, dass die NPD eine eigene Schlägertruppe à la SA aufgebaut hatte, mit eigenem Schlachtlied, etc. Wir ließen das Lied von einem Männerchor nachsingen und zeigten die NPD-Schläger im Einsatz. Vielleicht hat ja dieser kleine Film dazu beigetragen, zumindest sagten wir uns das nach der Wahl, dass die NPD es nicht über die 5-Prozent-Hürde schaffte. In den folgenden Jahren spezialisierte ich mich unter anderem auf die Berichterstattung über die rechtsradikale Szene in Deutschland.
    Bald darauf fielen mir der BND und seine illegalen Machenschaften ins Auge. Ein ehemaliger BND-Mann, der Zuckerbäcker Roger Hentges, packte aus. Hentges war ein Belgier, der für die Nazis beim Geheimdienst gearbeitet hatte und in der Folge zu Kriegszeiten in Luxemburg zum Tode verurteilt worden war. Deshalb wollte er nach dem Krieg Deutschland nicht verlassen. Ich fand durch Zufall seinen ehemaligen Chef, der in Bonn lebte und mir erzählte, wie seine BND-Außenstelle in Frankfurt Bestechungsgelder französischer Waffenproduzenten nach Bonn gebracht hatte. Mir fielen Dokumente in die Hand, die

Weitere Kostenlose Bücher