NeuGier
Nacken. »Die wirst du immer bleiben.«
Kate hatte nicht ohne Grund gefragt. Sie wollte, dass er argwöhnisch wurde. Doch das wurde er nicht. Für ihn gab es keinen Grund, ihr zu misstrauen.
Was sie ihm hatte sagen wollen, brachte sie nun nicht mehr hervor. Denn es passte so gar nicht mehr zur Situation. Sie würde es dem Henry sagen, auf den sie doch eigentlich gewartet hatte. Einen Moment lang war sie versucht, ihn damit zu konfrontieren, dass es einen anderen Mann gab. Nicht, um es ihm heimzuzahlen, um ihn zu verletzen oder zu provozieren, sondern aus Neugierde. Sie wollte erfahren, wie er reagierte und mit der Tatsache umging.
Sie verkniff es sich, denn das Risiko war zu hoch. Sie wollte und würde Jackson wiedersehen. Dieser unbedingte Wunsch ließ sie dennoch grübeln, warum sie nicht ehrlich war. Genau genommen war sie sogar unfair. Würde Henry mit Verständnis reagieren, wenn er es herausfand? Möglicherweise würde er das, doch er würde es keinesfalls weiterhin dulden.
Es wäre leichter gewesen, den fiesen Henry aufzugeben, doch wen würde sie jetzt verlieren? Kate sah hinab auf seine Hände, die sich vor ihrem Bauch schlossen. Seine Umarmung war warm und liebevoll. Sie war es, was sie all die Monate vermisst hatte, und erschien ihr in diesem Moment wohltuend und richtig. Und doch auch falsch, was ihre Irritation von Minute zu Minute steigerte.
Mit einem weiteren Kuss in ihren Nacken stand Henry auf. Er müsse das ausnutzen, meinte er, und klang so motiviert, dass kein Platz für ein Bedauern blieb. Er müsse malen.
Kate blieb auf den Stufen sitzen. Sie stützte die Ellenbogen auf die Knie, das Kinn in die Handflächen und bedauerte Henrys Verschwinden nicht lange. Sie hatte sich daran gewöhnt, hier allein zu sein – und war es für den Moment einfach lieber.
Zehn
Die halbe nächste Woche sprach Kate nicht viel mit Jackson. Am Mittwoch hatte er sich erkundigt, ob alles in Ordnung sei und es ihr gut ging. Sie war schlecht gelaunt, aber das sagte sie ihm nicht, sondern gab vor, viel zu tun zu haben. Dennoch vermisste sie die Unterhaltungen mit ihm, und verschwieg ihm auch das.
Die Vorstellung, ihn nicht mehr zu sehen, lastete auf ihrem Gemüt. Soll ich … soll ich nicht … die Fragen brachten sie völlig durcheinander, und sie wusste, dass sie sich erst wieder besser fühlen würde, wenn sie eine Entscheidung getroffen hatte. Nämlich die dafür.
Sie sollte! Sie wollte!
Und sie tat es.
Je weiter sie Palo Alto hinter sich ließ, desto leichter wurde ihr ums Herz, desto drängender die Ungeduld und desto kribbelnder die Freude, Jackson zu sehen, ihn zu fühlen, zu schmecken, einzuatmen.
Dem Sonnenuntergang entgegenfahrend, hatte sie noch immer keine Ahnung, wohin die Reise ging, sondern zählte die Meilennummern des scheinbar ewig langen, schnurgeraden Highways. Öde Felder erstreckten sich zu beiden Seiten. Strommasten ragten in den dunkler werdenden Himmel. Nicht ein Wagen begegnete ihr.
Noch zwei Markierungen galt es zu passieren, und Kate hätte das Gaspedal am liebsten bis zum Anschlag durchgetreten. Nicht allein die Geschwindigkeitsbeschränkung hielt sie davon ab, sondern auch die Beschaffenheit des Asphalts. Diesen kaputten Highway hatte Jackson zweifelsohne bewusst ausgewählt.
Raste Kates Wagen auch nicht, so tat es zumindest ihr Puls beim Sichten der besagten Meilennummer. Sie versuchte sich zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht wirklich. Klopfenden Herzens hielt sie an, stieg aus, schloss die Wagentür und betätigte die Zentralverriegelung. Dann folgte sie dem Straßenverlauf zu Fuß.
Eine halbe Meile war sie gelaufen, da vernahm sie das Brummen eines Motors und wandte sich um. Noch weit in der Ferne erkannte sie einen Wagen, der sich näherte. Dunkel und klobig war er, wie der Volvo, den Jackson fuhr. Sie hätte nicht geglaubt, dass ihr Herzschlag noch an Tempo zulegen konnte, doch das tat er – sein wildes Hämmern machte sie bald irre. Es wollte alle anderen Geräusche übertönen und verbot es ihr einzuschätzen, wie nahe Jackson inzwischen war. Als er neben ihr fuhr, waren ihre Knie weich wie Gummi. Der Wagen hielt und das Fenster wurde heruntergelassen. Kate blieb stehen.
Er zog die Sonnenbrille von der Nase. »Hey! Deine Karre da hinten am Straßenrand?«
Über seine liederliche Sprache hätte sie beinahe gelacht. Offenbar war sie Teil des Spiels.
»Es hat einen Knall gegeben«, erklärte sie und gestikulierte, um nicht mehr nervös, sondern verzweifelt zu wirken.
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