Neuland
durch die zahllosen Zimmer, und in einem fanden sie Neta und Amiti, wie sie in völliger Harmonie aus Legosteinen eine Brücke bauten; danach führte sie ihn in den Garten und erklärte ausführlich alle Bäume und Sträucher, welche sein Vater gepflanzt und welche sie hinzugefügt hatten, und dann lud sie ihn auch noch zu Kaffee und Kuchen in ihrer blitzblanken Küche ein und parlierte mit ihm über Gärten und allerlei Hobbykurse, die sie belegte, und jedes Mal, wenn sich ein kurzes Schweigen ergab, das er nutzen wollte, um die Frage der Bezahlung anzusprechen, überflutete sie ihn mit einem weiteren Wortschwall, und so vergingen im Flug zwei Stunden, und Dori blickte auf seine Uhr und sagte, es sei spät, und die Frau mit der Schürze sagte, Sie können gerne zum Abendessen bleiben, nein, nein, sagte er, Netas Mutter kommt bald von der Arbeit, und er dachte sich: Besser, wir gehen, solange Neta in Form ist, bevor die schwierigen Stunden beginnen und er anfängt, Theater zu machen, und er stand auf, ging zu dem Zimmer, in dem Neta spielte, und sagte ihm: Komm, wir gehen. Nein!, protestierte da Amiti und begann zu weinen, und Neta schaute ihn erstaunt an. Das war ihm noch nicht passiert, dass ein anderes Kind ihn nicht gehen lassen wollte! Und Dori war so gerührt, dass Neta mit einem Gleichaltrigen endlich mal keine kränkende Erfahrung machte, dass er ihnen noch ein paarMinuten gab und zum Schluss darüber beinah die Mietzahlung vergaß; erst in der Haustür erinnerte er sich und sagte: Und was die Miete angeht … und die Frau sagte, wir hatten da ein Missverständnis, mein Mann und ich, jeder dachte, der andere habe noch ein Scheckheft hier liegen, aber Sie können gern nächste Woche noch einmal kommen, und dann bringen Sie bitte auch den Jungen wieder mit.
*
Er sehnte sich nach seinem Sohn, dass es wehtat, und an seiner Schulter schlief eine Frau mit einer Schirmmütze, die nicht seine Frau war.
Im Hintergrund leise Salsa-Rhythmen und noch ferner im Hintergrund: sein verlorener Vater, der ihm Sorgen machte.
Er sehnte sich auch nach Roni. Und sein Rücken tat weh. Aber er wollte sich nicht anders hinsetzen, Inbar nicht wecken.
Alfredo redete noch immer am Telefon mit einem Kunden. Relax , sagte er, let us look at the facts : Ihre Tochter wollte in den Regenwald der Yungas, über die »Straße des Todes«, und sie hat schon ein paar Tage nichts mehr von sich hören lassen, nicht wahr? Dafür kann es ganz verschiedene Gründe geben. Welchen zum Beispiel? Dass sie im Regenwald wandert und es dort kein Internet und keine Telefone gibt. Oder dass sie gar nicht in den Regenwald gegangen ist, sondern in La Paz Leute getroffen hat, die sie überredet haben, mit ihnen zum Salar de Uyuni zu fahren. Geben Sie mir vierundzwanzig Stunden – wissen Sie was, geben Sie mir zwölf Stunden, Mister Cooper; ich halte Sie auf dem Laufenden. In Ordnung? Ich weiß, das ist schwer. Nichts zu machen. Manchmal muss man sehr tief Luft holen, bis das Bild klarer wird.
Lili
Vor den schlimmen Tagen hatte es gute Tage gegeben: Sie bekamen die Erlaubnis, in den Hafen von Beirut einzulaufen und Proviant zu besorgen. Kleine Fischerboote umringten das Schiff und boten ihre Ware feil. Frisches Obst und Gemüse! wurde in Säcken an Bord gebracht. Frisches Fleisch. Aufeinandergehäufte Brotfladen. Sie aß zum ersten Mal in ihrem Leben Fladenbrot und fand den Geschmack etwas merkwürdig. Es war zu weich, als hätte der Bäcker es zu früh aus dem Ofen geholt. Doch Fima – woher wusste er nur all diese Dinge? – riet ihr, es mit Zwiebel zu essen. Die Zwiebel in dicke Scheiben zu schneiden, in Öl zu tauchen und in das Fladenbrot zu stecken.
Und das, so musste sie mit vollem Mund zugeben, war eine richtige Delikatesse.
Später, am Abend, war Esther beinahe an einer Banane erstickt, die sie mitsamt der Schale gegessen hatte. Ich wusste ja nicht …, hatte sie gesagt, als ihre Lebensgeister endlich zurückkehrten, ich habe diese gebogene Frucht zum ersten Mal gesehen.
Einstimmig beschlossen Lili und Fima, die nächste Ausgabe der Bordzeitung dem Thema Essen zu widmen: Anweisungen zu unbekannten Früchten und Gemüsen, Rezepte und ausgefallene Serviervorschläge. Der religiöse Vertreter fügte ein paar neuere Erkenntnisse zu koscheren Speisen hinzu.
Die Leute standen vor dem Eingang zum Schlafsaal und lasen den Aushang. Ein Lächeln legte sich auf ihre Gesichter. Sonst lasen sie immer mit großem Ernst und offenem Mund, hungrig nach
Weitere Kostenlose Bücher