Neuland
verschiedene Arten von Liebe.Ich zum Beispiel habe meinen Exmann, diesen Scheißkerl, geliebt. Aber nicht so, wie mein Vater meine Mutter geliebt hat. Ich zum Beispiel hatte kein Problem damit, eine Woche nach der Trennung von ihm mit anderen Männern auszugehen. Auch mit Ihnen, Alfredo, würde ich ausgehen, wenn Sie nicht so weit weg wären. Sie klingen ganz okay. Für meinen Geschmack, dem Bild auf Ihrer Website nach zu schließen, etwas dick, aber nichts, was man nicht mit einer Diät beheben könnte. Nein nein, mein Vater hat meine Mutter ganz anders geliebt. Das ist alles eine Sache des Vertrauens, Sie wissen schon, wenn man seinem Partner vertraut, dass er einen nie im Leben verlassen wird, ist man bereit, einen größeren Teil der Seele in seine Hände zu legen.
Nein, ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass mein Vater jetzt mit einer anderen Frau zusammen ist. Ich sehe das einfach nicht als Bild. Was ich aber sehen kann? Wie er ausrutscht und von einem Felsen stürzt. Wie eine Schlange ihn mitten im Dschungel beißt und niemand da ist, der sich um ihn kümmert. Wie die kolumbianische Untergrundbewegung ihn festhält. Ja, in so einem Loch, das mit einem Gitter abgedeckt ist, wie in den Filmen über Vietnam. Woher wissen Sie, dass nicht, Alfredo? So ein Bauchgefühl? Wenn Sie mir sagen würden ein Milzgefühl, ein Zwerchfellgefühl oder ein Lebergefühl, dann würde ich Ihnen ja glauben. Aber was ist ein Bauchgefühl? Das ist verdammt allgemein.
Also wissen Sie was, hab ich ihr gesagt, es ist ein Herzgefühl. Mein Herz sagt mir, dass Ihr Bruder und ich Ihren Vater lebendig finden werden. Und Sie und ich, wir werden noch ein Wochenende zusammen in Paris verbringen, und das feiern, in Ordnung?
Ein Glück, dass sie noch keine Maschine erfunden haben, die Gedanken liest, denn als wir nach Otavalo hineinfahren, mache ich ein ernstes Gesicht und beiße mir auf die Unterlippe, um professionell auszusehen. Ich möchte den Vater von Mister Dori ja wirklich finden, schon lange hab ich nicht mehr so sehr jemanden für jemanden finden wollen – aber alles, was mir durch den Kopfgeht, als wir den Caravan vor dem Marktplatz parken, ist das Bild, wie seine Schwester und ich in einem Hotel in Paris an der Wand ficken. Dieses An-der-Wand-ficken, das klappt in der Realität ja nicht so richtig, aber in meiner Fantasie schlägt Doris Schwester ihre Beine um meine Hüften, und ich liebe sie so stark, dass sie ganz vergisst, was ihr Exmann, dieser Scheißkerl, ihr angetan hat, und sie vergisst auch, so viel zu reden, nur noch ein paar schnelle Silben kommen aus ihrem Mund, zuerst auf Hebräisch, danach auf Spanisch, danach auf Französisch, und dann in der internationalen Sprache von Frauen, die von einem Mann beglückt werden, und hinterher bezahle ich sie nicht, und sie geht nicht weg. Sie bleibt. Und wir liegen ruhig nebeneinander, und ich erzähle ihr von den Suchexpeditionen, die erfolglos waren und von denen ich keinem erzähle, und sie hält meine Hand, und ich ihre, bis ich Kraft für eine zweite Runde habe.
Dori
hält das Fernglas, das Alfredo ihm gegeben hat, und sucht nach der silbrigen Mähne seines Vaters. Oder nach seinem besonderen Gang – leicht gebeugt wegen der Kriegsverletzung, stolz wegen seiner Persönlichkeit –, oder nach seinem im Profil sehr auffälligen Adamsapfel.
Immer wieder hüpft sein Herz, wenn er denkt, das könnte er sein.
Aber es sind nur Trugbilder, die da vorüberziehen, eine Papamorgana nach der andern.
Der Marktplatz von Otavalo, der fast leer gewesen war, als sie die Ausblicksterrasse hinaufstiegen, hat sich binnen zwei Stunden mit Hunderten von dicht gedrängten Ständen gefüllt. Die umliegenden Straßen sind für den Verkehr von Lastwagen gesperrt, und alle Welt, die Einheimischen mit Körben, die Touristen mit Fotoapparaten und auch Polizisten, alle versuchen, sich durch die schmalen Gänge zwischen den Ständen hindurchzuschieben und erschweren Dori die Suche.
Lass uns hinuntergehen, sagt Alfredo.
Ich verstehe das nicht. Dori nimmt das Fernglas von den Augen, du willst nicht, dass wir hierbleiben und meinen Vater von hier aus suchen?
Dein Vater ist längst nicht mehr hier, sagt Alfredo. Er war vor zwei Monaten hier. Otavalo ist kein Ort, an dem man länger als ein paar Tage bleibt.
What the fuck machen wir denn dann hier? Dori spürt, wie das Blut ihm im Nacken hochkriecht.
Wir versuchen, den Fluss zu verstehen, antwortet Alfredo ganz ruhig. Ich möchte sehen, wie
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