Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Ihnen?«
»Genau. Abgesehen von mir und irgendwelchen Geistern. Gab es da noch jemanden?«
Frau Steinbichler schenkte Tee ein. »Ayurvedischer Glückstee«, sagte sie.
Nina nahm dankend eine Tasse und stellte sie vor sich ab. »Und?«, fragte sie ungeduldig. »War da noch wer?«
»Ist etwas passiert?« Erst jetzt schien Käthe Steinbichler die Beule zu bemerken und zeigte darauf. »Ich hatte Sie ja gewarnt. Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass ein dunkler Schatten …«
»Sie haben gesagt, dass ein Schatten über einem meiner Lieben hängen und nicht, dass ich davon verfolgt und ausgeraubt werden würde.«
»Ich habe Ihnen aber gesagt, Sie sollen nicht allein da draußen …«
Nina wurde immer ungeduldiger. »Haben Sie denn nun etwas gesehen oder nicht?«
Aber Käthe Steinbichler hörte ihr gar nicht zu. »Das ist nicht gut«, murmelte sie gedankenverloren. »Das ist gar nicht gut.« Sie griff nach einem Stapel Tarotkarten und begann, sie mit geschlossenen Augen zu mischen.
21
Diesmal hatte Morell mehr Glück. Sein Klopfen wurde mit einem lauten »Herein!« erwidert.
Dr. Bertonis Eck-Büro war ein echter Hingucker. Die hintere und die linke Wand waren komplett verglast und boten einen Ausblick, der jenen aus dem Panoramazimmer sogar noch in den Schatten stellte. Aber auch sonst war das Büro ziemlich beeindruckend. Der Perserteppich, der auf dem edlen Parkett lag, war so dicht geknüpft, und seine Farben strahlten so satt, dass Morell sich kaum traute einen Fuß darauf zu setzen, und der mächtige Schreibtisch, der das Zentrum des Raums bildete, war aus massivem Mahagoni gefertigt – allein bei seinem Anblick hätten jedem Greenpeaceaktivisten die Haare zu Berge gestanden.
Dr. Stefano Bertoni passte perfekt in dieses Umfeld. Er war ein rassiger, dunkelhaariger Mann mit breiten Schultern und einem gewinnenden Lächeln. »Sie müssen der Herr Inspektor sein«, sagte er, stand auf und machte ein paar Schritte auf Morell zu. Der maßgeschneiderte Kittel und sein leichter italienischer Akzent vervollständigten das Bild des fleischgewordenen Halbgottes in Weiß. »Schwester Helen hat Sie bereits angekündigt.« Er schüttelte Morells Hand und schaute dann auf seine Uhr. »Meine Zeit ist leider knapp. In zehn Minuten habe ich eine OP . Solange stehe ich Ihnen aber gerne zur Verfügung. Bitte.« Er deutete auf einen cremeweißen Ledersessel.
Morell setzte sich. »Dann werde ich mich kurz fassen. Ich brauche alle Informationen, die Sie über Sabine Weigl haben.«
»Warum denn das?« Bertoni legte seine Fingerspitzen aneinander, so dass seine Hände ein Zelt formten. »Ich dachte, die Sache sei klar. Was gibt es denn da noch zu ermitteln?«
»Leider ist der Fall doch nicht ganz so klar, wie es zunächst ausgesehen hat. Frau Weigl hat sich nämlich nicht selbst umgebracht.«
»Um Gottes Willen!« Bertoni riss die Augen auf. »Aber wer hat sie …? Und vor allem warum …?«
»Um das herauszufinden bin ich hier.«
»Per amor del cielo! Was für ein Schock!« Bertoni lehnte sich zurück und starrte nach draußen. »Die arme Schwester Sabine. Was genau ist denn passiert?«
»Sie verstehen, dass ich keine Details über eine laufende Ermittlung herausgeben darf.« Morell hielt sich so wolkig wie möglich.
»Natürlich.« Bertoni nickte, griff nach seinem Telefon und drückte eine Kurzwahltaste. »Helen«, sagte er. »Seien Sie doch so gut und suchen Sie die Personalakte von Sabine Weigl heraus. Danke.« Er legte auf. »Ich kann es einfach nicht fassen. Schwester Sabine, ermordet. Was auch immer ich tun kann – bitte lassen Sie es mich wissen.«
»Sie könnten mir sagen, ob Ihnen an Frau Weigl in letzter Zeit irgendetwas aufgefallen ist. War sie anders als sonst?«
Bertoni grübelte. »Nicht dass ich wüsste. Aber das hat nichts zu bedeuten. Sie war sehr professionell. Sie hätte sich irgendwelche persönlichen Probleme wahrscheinlich nicht anmerken lassen.«
»Und Sie hatten privat nichts mit Frau Weigl zu tun?«
Bertoni schüttelte den Kopf. »Ich halte mein Privatleben strikt von meiner Arbeit getrennt.«
»Ach so. Das wundert mich jetzt ein wenig. Mir wurde nämlich gesagt, dass Sie …«, Morell suchte nach den richtigen Worten, »… dass Sie Frau Weigl gut fanden.«
»Wer hat Ihnen denn diesen Blödsinn erzählt? Das hier ist nicht die Schwarzwaldklinik.« Bertonis Miene verdunkelte sich. »Der junge Oberarzt und die hübsche Schwester – das sind Klischees aus einem Groschenroman. Tut mir
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